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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Baumwollkleid. Ihre Finger schwebten über der Tastatur ihres Laptops, dessen Bildschirm das Kapitel 3 ihrer Schmusedeckengeschichte anzeigte, und plötzlich fühlte sie sich wie eine richtige Schriftstellerin. Oder zumindest, abgesehen vom Computer, wie das Bild von einer echten Schriftstellerin, das Renoir in Monets Garten gemalt haben könnte.
    Das war ein beträchtlicher Fortschritt gegenüber dem trügerischen Gefühl, das sie oft in der Abstellkammer beschlich, der sie die Bezeichnung Arbeitszimmer verweigerte. Eine Besucherin aus Amerika hatte ihr erzählt, daß man bei ihr zu Hause als sogenannter »unveröffentlichter Autor« Mitglied ernsthafter Schriftstellervereinigungen werden könne, ohne jemals ein Wort zu Papier gebracht zu haben. Ellie hatte höhnisch gelacht, bis sie gemerkt hatte, daß ihre Freundin ohne jede Selbstironie von einer persönlichen Erfahrung berichtete. Ihre Gastgeberrolle und instinktive Vorbehalte gegen elitäres Denken ließen sie die darauf folgende Gardinenpredigt widerspruchslos ertragen. Aber kein Lippenbekenntnis der Welt konnte ausräumen, was sie in ihrem Inneren empfand, daß sie nämlich eine Möchtegern-Schriftstellerin bleiben würde, bis ihre Worte gedruckt und mit einem Preisschild versehen waren. Und falls und wenn sie schließlich keine Möchtegern-Schriftstellerin mehr wäre, würden keine noch so klugen demokratischen Argumente sie dazu bringen, ihren Status mit einem eitlen Schmierfinken zu teilen, der sich als »unveröffentlichter Autor« bezeichnete!
    Aber hier draußen, in der Sonne, wo die Vögel in den Bäumen zwitscherten und Rosie ganz in der Nähe fröhlich mit Tig oder mit irgendwelchen anderen merkwürdigen Geschöpfen plauderte, die der Hund in ihrer Vorstellungskraft erweckt hatte, schien es ihr schließlich doch möglich, sich als wahre Schöpferin zu fühlen, als Gestalterin von Träumen jenseits des rauhen Alltags von Arbeitsessen, Erscheinungsterminen und gelehrten Kritiken. Vielleicht war es ja übersinnliche Wahrnehmung, und der lang ersehnte Annahmebrief war schon durch den Briefschlitz gesegelt. Dieses Gefühl war so stark, daß sie ins Cottage ging und zu Hause anzurufen versuchte, nur für den unwahrscheinlichen Fall, daß Peter, dem sie kurz nach ihrer Ankunft eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hatte, inzwischen heimgekommen war. Sie hatte jedoch keinen Erfolg, denn die Leitung war inzwischen völlig tot.
    Seltsamerweise ärgerte sie sich nicht darüber, vielmehr verstärkte sich dadurch das Gefühl, von der Welt abgeschnitten zu sein.
    Nichts kann mich hier erreichen, dachte sie.
    Aber als sie in den Garten zurückkehrte, mußte sie feststellen, daß sie sich geirrt hatte. Irgendein elektronischer Schnitzer hatte auf ihrem Bildschirm ihren unvollendeten Brief an Bruna Cubillas erscheinen lassen. Die Kolumbianerin war in ihren Briefen selten direkt auf ihre Haftbedingungen eingegangen, vielleicht aus Angst vor Zensur und Repressalien, vielleicht, weil sie sich auf diese Weise in eine andere Welt, in ein Familienleben mit seinen alltäglichen Vergnügungen und Ängsten flüchten konnte, in das sie ihre Situation nicht hineintragen wollte. Aber Ellie hatte natürlich darüber gelesen und wußte auch von Leuten, die ein ähnliches Schicksal erlitten und wieder freigekommen waren, daß dieselbe Sonne, in der sie sich wärmte, Brunas winzige Zelle in einen faulig stinkenden Glutofen verwandelte, in dem sogar die Schaben nur noch kraftlos über den Boden krochen …
    Ärgerlich klickte sie den Brief weg. Später. Das hatte Zeit. So selten war sie derart vergnügter Stimmung, daß es kleinlich gewesen wäre, sie zu unterdrücken. Und überhaupt, hatte Feenie nicht angedeutet, daß Bruna freikommen würde? Wenn das stimmte, hatte es wenig Sinn, ihr einen Brief ins Gefängnis zu schicken. Sie bezweifelte, daß ihre Brieffreundin dort eine Nachsendeadresse hinterlassen würde.
    Sie beschwor ihre Geschichte ein weiteres Mal herauf und tauchte in die Überarbeitung ein wie ein Delphin ins dunkle Meer. Sie hatte dieses Kapitel mit einem jener ausgedehnten Vergleiche begonnen, die die Autoren der klassischen Epen so liebten, aber sie war sich nicht sicher, ob das funktionierte. Oder war sie sich vielleicht nicht sicher, wie es funktionieren sollte – als episches Gleichnis oder als postmoderne Ironie? Oder vielleicht auch nur als guter, ehrlicher Humor! Was also nun? Warum mußte man alles immer so kompliziert nehmen?
    Laß es

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