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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Küche.«
    »Ich gehe mit ihr«, sagte der Mann zu Jorge. »Setz dich, Alte.«
    Er schob Mrs. Stonelady an den Tisch. Sie ließ sich auf Novellos Stuhl nieder, ihr Gesichtsausdruck war völlig ruhig. Vielleicht ordnete sie das alles bloß in eine lange Reihe von unerfreulichen Erlebnissen ein, mit denen Einheimische eben rechnen mußten, wenn sie sich mit Leuten von außerhalb einließen.
    Die Lähmung, die Ellies Körper befallen hatte, ließ langsam nach, und sie spürte, daß sie dringend pinkeln mußte. Sie hätte auch etwas zu trinken vertragen können, aber die beiden Bedürfnisse schienen sich zu widersprechen.
    »Daphne«, sagte sie leise. Als Antwort auf ihre Not fing sie einen haßerfüllten Blick auf.
    Doch Daphnes Gesicht glättete sich rasch, und Ellie begriff, daß der Blick Jorge gegolten hatte und es Daphne nicht so schnell möglich gewesen war, emotional umzuschalten.
    »Bist du in Ordnung?« fragte Daphne.
    »Maul halten!« schrie Jorge.
    »Halt selber das Maul, du Drecksack«, gab Daphne zurück. »Vor dir habe ich keine Angst. Diesmal bin ich auf dich vorbereitet, du schmieriger kleiner Chilifresser!«
    Ellie nahm wieder einmal eine leichte Korrektur an ihrem Weltbild vor. Es gab wohl doch Situationen, in denen primitive rassistische Ausdrücke nicht nur angebracht, sondern sogar mutig waren.
    Allerdings waren sie auch gefährlich.
    Jorge ging langsam um den Tisch herum, bis er direkt neben Daphne stand.
    Er hielt ihr die Pistole an den Hinterkopf.
    Daphnes Körper versteifte sich bei dieser Berührung sichtbar. Nicht nur aus Angst, dachte Ellie, sondern ebensosehr durch die Willensanstrengung, diese Angst nicht zu zeigen. Wenn das alles ist, was bei der Erziehung in Internaten rauskommt, deren Ideale in die Zeit zurückreichen, als Großbritannien den größten Teil der bekannten Welt regierte, dann danke Gott für das staatliche Schulsystem! Gib nach! drängte sie ihre Freundin im Geiste. Was er auch sagt, widersprich ihm nicht. Bitte um Gnade. Nur in sehr altmodischen Kinderbüchern werden ausländische Schufte durch eine Kostprobe britischen Schneids zu zähneknirschender Bewunderung bewegt. Heutzutage pusten sie einen einfach um.
    Jorge sprach. Ellie, die fest mit einer Drohung, Schmähung oder Aufforderung zu einer Unterwerfungsgeste rechnete, konnte nicht verstehen, was er sagte.
    Dann stieß er Daphnes Kopf mit seiner Pistole nach vorne und wiederholte seine Worte.
    »Wo ist das, was KP heißt? Hier im Haus? Antworte!«
    Nun regte sich etwas in Daphnes Gesicht. Angst, ja. Aber auch, und vor allem, Unwille. Schweigen bis zum Tod war gewiß eine englische Tugend, aber schweigend zu sterben, nur weil man die verlangte Antwort beim besten Willen nicht geben konnte, das war einfach nur lächerlich.
    »Das ist da hinten, am Rand der Klippe«, sagte Ellie. »Das Haus da. Es wird Kommandoposten genannt. KP . Klar?«
    » KPK ?«
    »Nein. Einfach KP . Kommandoposten.«
    »Zeig es mir.«
    Nun hatte er seine ganze Aufmerksamkeit ihr zugewandt, und ein Teil von ihr, eigentlich ein ziemlich großer Teil, wünschte, sie hätte sie nicht so schnell von Daphne abgelenkt.
    Sie hatte von Leuten gelesen, die durch die Bedrohung mit einer Waffe traumatisiert worden waren, Kassierer, Postangestellte, Spirituosenhändler, sogar Polizisten, und sie hatte nie ganz das Gefühl loswerden können, daß zumindest manche von ihnen womöglich bloß ein bißchen wehleidig waren. Vielleicht hatte sie diese Haltung von ihrem Vater übernommen, der nur den Kopf schüttelte, wenn er von »posttraumatischen Streßsymptomen« hörte. »Therapie?« sagte er dann. »Was soll dieses ganze Therapietheater? Zu meiner Zeit ist man einfach zur Tagesordnung übergegangen!« Als Erwachsene hatte sie dem natürlich mit vernünftigen Argumenten, vielleicht sogar ein wenig von oben herab widersprochen. Er aber hatte sich nicht im geringsten beeinflussen lassen, und oh, was würde sie jetzt dafür geben, wenn sie bei ihren Besuchen im Heim in seinem ängstlichen, erinnerungslosen Gesicht irgendein Zeichen dieser alten Selbstgewißheit des Starrkopfs wiederfinden könnte!
    Aber nun, als sie in die Mündung der Pistole dieses Mannes blickte, der bereits unter Beweis gestellt hatte, daß er bereit war, sie auch zu benutzen, empfand sie ein Entsetzen, das sie nie mehr verlassen würde und das ihr den Rest von Kontrolle über ihre Blase nahm. Und da
wußte
sie, wie unrecht ihr Vater gehabt hatte.
    »Dort hinten. Schauen Sie. Bitte. Ich muß

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