Das Haus an der Klippe
genau erfüllt und über eine Rehabilitationsgruppe einen Job als Krankenhauspförtner in Sheffield gefunden, wo er die unbeliebte Nachtschicht übernahm, um tagsüber in den Bibliotheken für seine Doktorarbeit recherchieren zu können.
Eine Erfolgsstory vom Standpunkt des Strafvollzugs: ein Boot, das friedlich auf ruhigen Wassern dahinsegelte. Und Rootes schottische Bewährungshelferin hatte in ziemlich aggressivem Ton der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß sie durch Pascoes Besuch nicht in Aufruhr geraten würden.
Normalerweise hätte die Fahrt in das Vorstadtviertel im Norden Sheffields, wo Roote wohnte, eine Dreiviertelstunde in Anspruch genommen; jetzt, im dichten Berufsverkehr, war Pascoe ein einviertel Stunden unterwegs. Wenn das Gespräch länger dauerte, würde er sich beeilen müssen, um mittags rechtzeitig zum Gericht zu kommen und den Kautionsantrag von Kelly Cornelius abzuschmettern.
Falls er sich aber verspäten sollte, weil er herausfand, daß Roote hinter der Sache steckte, was kümmerte ihn dann noch Kelly Cornelius?
Bei dem Material, das aus Sheffield gefaxt worden war, befand sich auch ein neueres Foto. Pascoe hatte es mit seiner Erinnerung an Roote verglichen: ein dreiundzwanzigjähriger, blonder junger Mann, stets weiß oder cremefarben gekleidet, der sich mit der Anmut einer Katze bewegte und trotz seiner ungezwungenen freundlichen Art wachsam und zurückhaltend wie eine Katze blieb. Bei Frauen kam er grundsätzlich gut an, und auch Männer akzeptierten ohne weiteres seinen Führungsanspruch.
Der Mann auf dem Foto sah völlig anders aus. Sein Alter lag undefinierbar zwischen dreißig und vierzig, Gesicht und Gestalt waren hager und die Haare auf wenige Millimeter kurz geschoren.
Nur der wachsame Ausdruck der Augen war geblieben.
»Ich hätte ihn nicht wiedererkannt«, hatte Dalziel gesagt.
»Ich schon«, erwiderte Pascoe.
Jemanden, der versucht hatte, einen mit bloßen Händen zu ermorden, vergaß man nicht.
Die Wohnung lag im obersten Stock eines umgebauten Reihenhauses in einer Gegend, die wenigstens im Morgenlicht einen einigermaßen anständigen und gepflegten Eindruck machte.
Er läutete. Wartete. Läutete noch einmal. Dann klopfte er laut und vernehmlich.
Aus der Nachbarwohnung trat eine Frau.
»Schläft wahrscheinlich«, sagte sie. »Er arbeitet Nachtschicht. Hat das nicht Zeit? Nicht so nett, ihn einfach aufzuwecken.«
Sie war über fünfzig, mütterlicher Typ. Rootes Charme tat offenbar nach wie vor seine Wirkung.
»Nein, es ist dringend«, entgegnete Pascoe und begann wieder zu klopfen. Dann rief er: »Mr. Roote? Hier ist Peter Pascoe. Könnten Sie die Tür öffnen? Mr. Roote? Hören Sie mich?«
»Bestimmt hört man sie noch in Rotherham. Sie machen einen Lärm, der Tote aufwecken könnte«, sagte die Frau.
Pascoe sah sie an und las in ihren Augen, daß ihr klar wurde, was sie gerade gesagt hatte.
»Hat jemand einen Zweitschlüssel?« fragte er.
»Ja. Also, ich habe einen. Ich schaue gelegentlich mal rein und räume ein bißchen auf« Sie errötete ein wenig, und Pascoe korrigierte seinen ersten Eindruck einer
mütterlichen
Beziehung.
»Könnten Sie ihn bitte holen?« sagte er. Und als sie immer noch nicht überzeugt schien, zog er seinen Ausweis hervor: »Polizei.«
Die Tür führte in ein kleines Wohnzimmer. Sessel, Tisch, Stuhl, übervolles Bücherregal, alles sauber und ordentlich. Man sah drei geschlossene Türen.
Pascoe öffnete eine von ihnen. Küche. Spüle. Eine kürzlich gespülte Tasse und ein Teller, zum Abtropfen aufgestellt. Ein Wasserkessel auf einem kleinen Gaskocher. Pascoe berührte ihn. Noch warm.
Die Frau hatte eine weitere Tür geöffnet. Schlafzimmer. Gemachtes, unberührtes Bett.
Sie wandte sich zur dritten Tür.
»Nein, lassen Sie mich vor«, sagte Pascoe.
Er stieß die Tür auf. Badezimmer. Dampf. Eine alte, angeschlagene Emaillebadewanne, mit Wasser gefüllt, das die Farbe von Kirschlimonade hatte. Darin saß, ein aufgeschlagenes Buch vor sich auf der Seifenablage, halb seitwärts geneigt, als wolle er für »Marats Tod« posieren, Franny Roote.
Blut tropfte aus einem Handgelenk auf den Fußboden. Die andere Hand lag in dem sich verdunkelnden Wasser.
Seine Augen waren geschlossen. Die Frau fing an zu kreischen.
»Halten Sie den Mund!« fuhr Pascoe sie an, zog sein Handy heraus und tippte 999.
Roote öffnete die Augen, blinzelte, sah ihn an.
»Sie kommen spät«, sagte er.
Vierzehn
Des Menschen bester Freund
E in Kind?« meinte
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