Das Haus an der Klippe
Edwin Digweed. »Wir kriegen ein Kind, hier?«
»Nicht so«, meinte Edgar Wield.
»Nicht
so?
Ja, wie denn dann? Als Vorspeise vielleicht, frikassiert à la Swift? Oder schickt es uns der Erzengel Gabriel, als parthenogenetischen Vorboten von Jehovas gutem Willen? Oder ist es schon mal der erste Zögling für ein Internat, ein Dickens’sches Dotheboys Hall vielleicht, das du hier in Enscombe gründen willst, um auf deine alten Tage deine Rente aufzubessern? Ja, oder ist dieses Gör in Wahrheit ein Mafiosozwerg, den ihr zum Kronzeugen umgepolt habt und für den du jetzt im Rahmen des Zeugenschutzprogramms zu sorgen hast?«
Wield, an die Schmähtiraden seines Freundes gewöhnt, beugte demütig sein Haupt vor diesem Sturm.
Als er sich gelegt hatte, sagte er: »Die Kleine von Pete Pascoe, Rosie. Ich habe versprochen, ihr den Steichelzoo zu zeigen.«
»Mit der Aussicht, sie dort abzugeben, vielleicht?«
»Hm?«
»Edgar, seit wir zusammenwohnen, habe ich die Erfordernisse der häuslichen Harmonie über meine professionelle Berufung gestellt und mich deiner Bibliophobie angepaßt, indem ich diese Kate hier in jeder Beziehung zur buchfreien Zone erklärt habe. Und was hast du im Gegenzug in unser Leben geschleppt? Ich sag’s dir. Erst einen Flugaffen. Dann einen Hund, tollwütig wahrscheinlich. Und jetzt ein Kind, ein Mädchen. Was gibt es da noch hinzuzufügen? Die Beweisführung ist hiermit geschlossen.«
Es war lange her, daß eine Skandalgeschichte den jungen Digweed aus seiner juristischen Laufbahn geworfen hatte, aber seine Sprache hörte sich häufig immer noch ziemlich forensisch an. Bücher waren nun sein Lebensinhalt und -unterhalt geworden. Als Wield ihn kennenlernte, wohnte er über seinem Antiquariat an der Hauptstraße, wo er sich in einem aussichtslosen Rückzugsgefecht gegen den unaufhaltsamen Vormarsch eingestaubter Bände befand, die sich langsam die Treppe hinaufkämpften. Als sie sich dann entschlossen, im Corpse Cottage beim Friedhof zusammenzuziehen, hatte es Wield, dadurch vorgewarnt, zur Bedingung ihrer Koexistenz gemacht, daß in diesem Haus nur Bücher zum persönlichen Gebrauch zugelassen sein sollten. Sein eigener Beitrag beschränkte sich auf
Moriarty’s Police Law
und eine Gesamtausgabe der Werke von H. Rider Haggard.
Dabei mußte man ständig darauf achten, daß Digweed sich auch wirklich an die Abmachung hielt. Kam er spät vom Bücherkauf nach Hause, dann schien es ihm ganz normal, ein paar der erbeuteten Kartons in der Küche abzustellen, mit der Versicherung, sie gleich am nächsten Morgen in den Laden zu schaffen. Und völlig normal war es für ihn auch, ein paar Bücher auszupacken, um seine Freude über die Schätze mit Wield zu teilen. Doch die Normalität endete zwei oder drei Tage später, wenn die Kartons immer noch da waren und der Sergeant seine Cornflakes im Stehen essen mußte, weil alle Stühle mit Inkunabeln belegt waren.
Allerdings war Wields Position durch das, was Wield »die Menagerie« nannte, beträchtlich geschwächt worden. Erst war da Monte gewesen, beileibe kein großer Affe, wie es Edwin darzustellen beliebte, sondern ein zierliches Seidenäffchen, das Wield aus einem pharmazeutischen Forschungslabor »befreit« hatte. Das Problem war von Girlie Guillemard gelöst worden, der Herrin von Enscombe Old Hall, die dem Sitz ihrer Vorfahren eine neue Attraktion in Gestalt eines Streichelzoos für Kinder hinzugefügt hatte. Monte kam zuerst mit den anderen, zahmeren Bewohnern des Parks im Winterquartier unter, einer beheizten alten Scheune. Doch als es Frühling wurde, siedelte er in ein Baumhaus um, von wo er sich leicht durch Futter anlocken ließ, besonders gerne von seinem geliebten Retter Edgar Wield.
Mit dem Hund war es schon problematischer. Tig, ein Mischlingsterrier, hatte der siebenjährigen Lorraine Dacre gehört. Sie war umgebracht worden, als sie mit ihm spazierenging. Es war einer der spektakulärsten Kriminalfälle in Mid-Yorkshire gewesen. Das Tier hatte immer lautstark Lorraines Heimkehr angekündigt, und jetzt konnten die Eltern sein Gebell nicht mehr ertragen. Wield hatte sich bereit erklärt, sich um den Hund zu kümmern, vorübergehend, wie er versicherte, doch bald war klar, daß die Dacres das Tier nicht mehr zurücknehmen würden. Es war nicht so einfach, ein neues Zuhause für ihn zu finden. Das Tierheim versprach zwar, es mit dem Hund zu versuchen, aber sie konnten Tig nicht auf unbestimmte Zeit behalten, falls sich kein neuer Besitzer
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