Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
ich werde es nicht anrühren. Es interessiert mich nämlich nicht. Vor allem, was soll das alles, wenn du mir im Vorwege untersagst, mit dir darüber zu sprechen!«
»Ich habe nicht gesagt, dass du gar nicht mit mir darüber reden kannst«, entgegnete Grandma in sanftem Ton. »Wenn du die ganze Wahrheit kennst, werde ich dir mit Rat und Tat zur Seite stehen. Doch du musst zunächst alles wissen, bevor du weitreichende Entscheidungen für dein Leben treffen kannst.«
Valerie sah ihre Großmutter verzweifelt an. »Aber ich will gar keine solchen Entscheidungen treffen! Ich möchte am Strand entlanggaloppieren, mir schöne Kleider nähen lassen, meine Freundinnen treffen …«
»Mein Liebling, mach dir nichts vor. Du hast mir heute bewiesen, dass du kein Kind mehr bist. Und ich habe deine Kindheit so lange hinauszögern wollen, wie es nur geht. Aber du bist bereits, ob du es willst oder nicht, ob ich es schrecklich finde oder nicht, zu einer jungen Frau herangewachsen, die ihren eigenen Weg gehen muss. Oder hast du noch nie einen Gedanken daran verschwendet, dass du mich eines Tages verlassen wirst?«
Valerie wand sich. Wie oft hatte sie sich in den letzten Monaten mit dieser Frage gequält, was wohl wäre, wenn sie mit James … nein, sie wollte das nicht zulassen, aber es ließ sich nicht verdrängen. Seit sie James Fuller begegnet war, hatte sie an nichts anderes mehr gedacht. Was würde aus Großmutter werden, wenn sie das Haus verließ?
»Nein, daran habe ich noch nie gedacht«, entgegnete sie wahrheitswidrig. »Aber wenn du mich loswerden willst«, fügte sie trotzig hinzu.
Großmutter lächelte. »Du hast dir also vorgestellt, den Rest deines Lebens als Gesellschafterin einer wunderlich gewordenen Alten zu verbringen?«
»Ach, lass mich doch in Ruhe!«, schnaubte Valerie. Sie fühlte sich, als habe Grandma ihr wieder einmal bis auf den Grund der Seele geblickt. Zornig schnappte sie sich das dicke Buch. In der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Glaube ja nicht, dass ich es an mich nehme, um meine Entscheidung bezüglich Mister James Fullers zu überdenken. Der Mann ist mir gleichgültig. Hörst du? Völlig gleichgültig!«
Schmunzelnd sah Hanne Sullivan ihrer Enkelin hinterher. Wenn sie bloß wüsste, wie ähnlich wir uns sind, dachte sie und beschloss, sich auf der Veranda ihr Lieblingsgetränk zu genehmigen. Gewiss war sie die einzige Person auf der Insel, die in diesem feucht-heißen Klima Wasser mit heißem Rum trank.
Sie läutete nach Asha, die den Wunsch nach Alkohol vor dem Essen mit einem unwirschen Kopfschütteln quittierte. »Ich denke, Sie sollten ihn als Dessert nach dem Dinner genießen, Missus.«
»Das Abendessen fällt heute aus«, entgegnete Valeries Großmutter trocken. »Und du sollst nicht immer Missus zu mir sagen. Das erinnert mich an die Zeiten der Sklaverei. Misses Sullivan ist mir lieber.« Jetzt lächelte sie.
Asha aber sah sie ungläubig an.
»Das Abendessen fällt aus? Was sind das für neue Moden? Aber das hat es noch nie gegeben. Ojemine! Seit ich für Sie arbeite, Missus, ich meine Misses Sullivan, ist so etwas kein einziges Mal vorgekommen, und das sind nun, wenn ich richtig zähle, bereits über vierzig Jahre. Ojemine!« Sie streckte die Arme zum Himmel und begann zu jammern. »Ojemine, und der schöne gesalzene Fisch mit den Okras. Was mache ich bloß damit? Stattdessen trinkt die Missus kill devil auf nüchternen Magen.« Asha schüttelte sich.
»Asha, du übertreibst, ich trinke den Rum mit heißem Wasser. Kill devil war der pure untrinkbare Rum, den deine armen Vorfahren von ihren Herren zum Saufen bekommen haben, damit sie die Arbeit auf den Zuckerrohrplantagen überhaupt aushalten konnten. Und was den Fisch angeht, schlage ich vor, du gibst ein fürstliches Essen für alle Angestellten!«
Statt sich zu freuen, funkelte Asha Misses Sullivan aus ihren dunklen, beinahe schwarzen Augen missbilligend an. »Aber natürlich, Missus Sullivan, aber wenn Sie wieder einen Rausch haben, ich bring sie nicht ins Bett.«
»Habe ich das verlangt?«, gab die Dame des Hauses spitz zurück. Das Lächeln war aus ihrem Gesicht verschwunden. Sie wusste es zu schätzen, dass sich Asha um sie sorgte, seit sie sie ein paarmal beim Trinken ertappt hatte. Und wahrscheinlich spürte die Gute, dass das so ein Abend werden konnte. Aber sie konnte jetzt keine Predigten gebrauchen.
»Bring mir bitte den Grog!«, verlangte Misses Sullivan in schärferem Ton als beabsichtigt. Als Asha
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