Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
weht. Man möchte darin versinken. Sein Haar ist hell und von der Sonne ausgeblichen, denn er lebte auch auf Saint Croix, bevor er vor ein paar Wochen auf einem Schoner von den Karibikinseln nach Flensburg kam. Das habe ich aber alles erst nach dem Tanz erfahren, als er mich in den Garten entführt hat. Er hat eine tiefe Stimme und schon viel von der Welt gesehen. Das imponiert mir mächtig. Ich wollte wissen, wie er als Däne auf die westindischen Inseln gelangt ist. Er heißt Hauke Jessen. Seine Familie stammt ursprünglich aus Kopenhagen. Sein Großvater war Kapitän bei der Westindien-Kompanie. Und der blieb eines Tages in Saint Croix, weil er sich in eine Engländerin verliebt hat, Haukes Mutter. Er ist nie wieder nach Hause zurückgekehrt und hat dort eine Familie gegründet. Hauke ist da geboren.
»Wer einmal auf den westindischen Inseln gelebt hat, kehrt niemals zurück«, hat Hauke an dem Abend in schwärmerischem Ton geseufzt. »Und warum bist du jetzt hier?«, habe ich ihn gefragt. Ich glaube, er fand mich anfangs ein wenig vorlaut, denn ich bin nicht sehr begabt darin, einen Mann anzuschmachten. Dazu bin ich auch viel zu groß. Die meisten Frauen auf dem Fest sind mindestens einen Kopf kleiner als ich und können immer so herrlich zu ihren Männern aufschauen. Mit dem gewissen Augenaufschlag! Deshalb hat meine Freundin Nele bestimmt auch so schnell einen Ehemann bekommen. Sie ist Meisterin ihres Faches. Wenn sie zu ihrem Per Hansen, dem frischgebackenen Polizeidirektor, hochblickt, dann spricht aus ihren Augen grenzenlose Bewunderung. Dann fühlt er sich bestimmt wie ein junger Gott. Dabei ist er ein unangenehmer Zeitgenosse. Er hat nicht die Spur Humor und mag nicht, wenn sie Zeit mit ihren Freundinnen verbringt. Mich kann er am wenigsten von allen leiden. Das lässt er mich jedes Mal spüren, wenn ich zu Besuch bin. Wahrscheinlich seit ich ihm auf den Kopf zugesagt habe, dass Nele sehr wohl in der Lage ist, auf einem Pferd zu galoppieren. Schließlich haben wir oft genug gemeinsame Ausritte gemacht. Er aber hat es ihr verboten, weil sich das für eine Dame nicht gehöre, und da ist mir der Kragen geplatzt.
Das Traurige daran ist, Nele tut alles, was er sagt. Und sie behauptet, diesen Blick einer Frau von unten nach oben mit züchtig niedergeschlagenen Lidern mögen die Männer. Ich weiß nicht, ob das stimmt, und werde das wohl auch nie erfahren. All die kleinen Junggesellen der Stadt gucken mich genauso wenig an, wie ich sie. Aber ich will auch gar keinen von ihnen. Mutter ermahnt mich stets, mich nicht so burschikos zu benehmen.
Jedenfalls habe ich den ganzen Abend nur mit Hauke getanzt, endlich ein Mann, der mir von Herzen gefällt! Das Schönste ist, wir haben uns wiedergesehen und einen Spaziergang an der Ostsee gemacht. Nur wir beide. Hauke hat meine Hand genommen und mir tief in die Augen gesehen. Mir ist ganz blümerant geworden. Aber zurück zum Fest. Wenn meine neugierige Schwester Lene nicht gekommen und mich aus dem Garten geholt hätte, er hätte mich bestimmt geküsst, aber Lene fand, das gehöre sich nicht und sie müsse auf mich aufpassen. Dabei ist sie ein Jahr jünger als ich und fühlt sich nur deshalb so groß, weil sie schon verheiratet ist. Und da ihr Mann Heinrich eigentlich nie zu Hause, sondern stets auf See ist, hat sie sich zur Aufgabe gemacht, mich von »Dummheiten« abzuhalten, wie sie es nennt. Meine Eltern waren untröstlich, als sich Heinrich, Vaters Kapitän, für seine jüngere Tochter entschieden hat. Da ich die Ältere bin, meinte Vater, ich müsse erst unter die Haube. Wenn er oder gar meine Schwester wüssten, dass Heinrich mir vorher den Hof gemacht hat, ich ihn aber davon überzeugen konnte, dass Lene sich mehr dazu eigne, Tag für Tag am Fenster zu hocken und auf die Rückkehr ihres Mannes von See zu warten! Heinrich hat schallend gelacht und mir versichert, nein, so geduldig sei ich bestimmt nicht.
Ich mag Heinrich wie einen Bruder, oder besser gesagt: einen Schwager. Meine Schwester geht mir allerdings mächtig auf die Nerven. Sie tut immer so, als wäre sie ein besserer Mensch. Doch trotz ihres Eingreifens auf Neles Hochzeit konnte sie nicht verhindern, dass Hauke mich noch einmal zum Tanzen aufgefordert hat. Es war ein herrliches Gefühl, in seinem Arm … Dann allerdings hat Per mich unter einem Vorwand von der Tanzfläche gelockt, nur um mir eine Predigt zu halten, dass ich mich unmöglich benähme … Ich habe mich aber nicht um seine Worte
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