Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
Schiff bringen könnten?«
Er nickte. »Ja, es hat sich im Lager einiges gestapelt, seit die Flensburger den Rum von der Sullivan-Plantage nehmen statt von unserer.«
Ich straffte die Schultern und überlegte, wie ich dem armen Mann möglichst kurz und bündig erklären konnte, dass sich der Wind gedreht hatte.
»Ab sofort wird der Rum wieder von Ihren, beziehungsweise unseren, um genau zu sein, Plantagen genommen. Sie persönlich werden sich darum kümmern, dass die Unterkünfte der Sklaven erneuert werden, dass eine Mittagspause eingeführt wird und dass kein Sklave je gezüchtigt wird. Ihren Aufseher können Sie entlassen. Suchen Sie sich einen fähigen Schwarzen aus, der die Aufsicht auf den Plantagen führt!«
»Entschuldigen Sie, Miss Sullivan, aber ich bin leider gezwungen, auf Anweisungen der Eigentümer aus Flensburg abzuwarten. Unser Eigentümer, Mister Hensen, wurde leider …«
Ich streckte ihm lächelnd die Hand entgegen. »Sein Bruder Pit Hensen war mein Mann. Er wurde auf Befehl seines Bruders ermordet, und mir wollte man die Tat unterschieben. Aber Hauke Jessen, der den Mord ausgeführt hat, hat sich der Justiz gestellt mit dem Ergebnis, dass ich rehabilitiert und damit neben meiner Schwester die Herrin des Unternehmens geworden bin.«
»Ach, deshalb war Hauke Jessen damals nach dem Abend auf Sullivan wie vom Erdboden verschwunden«, bemerkte der junge Mann immer noch verunsichert.
»Wie ist Ihr Name?«, fragte ich, denn ich konnte ja schlecht einen Geschäftsführer einsetzen, den ich nur als »junger Mann« kannte.
»Torben Sörensen«, erwiderte er.
»Gut, Torben, Sie sind ab sofort der hiesige Geschäftsführer. Wohin Sie mir Geld schicken sollen, schreibe ich Ihnen demnächst. Aber erst einmal bitte ich Sie, zu veranlassen, dass die Fässer auf das Schiff kommen.«
»Aber was ist mit dem Rum von der Sullivan-Plantage? Ich habe wenig Lust, mich am Hafen mit dessen Leuten zu prügeln.«
»Keine Sorge, die Sullivan-Plantage wurde gestern bei einem Hurrikan zerstört. Von dort werden Sie wohl kaum mehr Rum bekommen«, entgegnete ich und fragte mich, ob Jonathan die Katastrophe in Frederiksted wohl überlebt hatte. Wenn nicht, dann könnten wir doch eigentlich auf Saint Croix bleiben, schoss es mir plötzlich durch den Kopf, während ich gedankenverloren aus dem Fenster sah. Von hier aus hatte man einen herrlichen Blick über den Hafen. Dort unten herrschte jetzt am helllichten Tag großer Trubel. Mein Herz wollte stehen bleiben, als ich inmitten der Menge Jonathan erkannte. Er torkelte mehr, als dass er ging, und rempelte ständig Menschen an. Das ließ mich den Gedanken an ein friedliches Leben auf Saint Croix schnell wieder verwerfen. Wenn er begriff, dass ich mit seinem Butler getürmt war, würde er sicherlich vollständig den Verstand verlieren.
Mit klopfendem Herzen wagte ich mich wenig später aus dem Eingang des Geschäftshauses. Ich drehte mich ein paarmal nach allen Seiten um, bevor ich hinunter zum Kai eilte. Außerdem fixierte ich jeden Entgegenkommenden mit den Augen eines Luchses. Der Kapitän des Flensburger Schiffes staunte nicht schlecht, als ich ihn um die nötigen Utensilien bat, um einen Brief zu schreiben. Auf der Kaimauer hockend, versuchte ich meiner Schwester Lene zu erklären, dass ich nicht zurückkehren konnte. Den fertigen Brief drückte ich dem verblüfften Kapitän in die Hand, bevor ich mich zu meinem Schiff aufmachte. Ich hätte heulen können vor Glück, als ich die Sea Cloud unbehelligt erreichte. Jeremiah erwartete mich schon sehnsüchtig.
Kapitän Will Brown, ein gemütlicher älterer Herr, begrüßte mich wie eine alte Freundin. Das Schiff war zum Ablegen bereit. Es mussten nur noch die Leinen losgemacht werden. Ich beobachtete das Manöver mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Was hätte ich darum gegeben, hierbleiben zu dürfen, aber Jeremiah, der seinen Arm um meine Hüfte geschlungen hatte, tröstete mich über meinen Abschiedsschmerz hinweg. Was gab es Wichtigeres, als mit dem Mann, den ich liebte, ein neues Leben anzufangen, nachdem ich alles verloren hatte? Sofort kamen mir die Tränen. Ich konnte nicht an meinen Sohn Benjamin denken, ohne dass eine tiefe Traurigkeit von mir Besitz ergriff.
Die Stimmen streitender Männer am Kai rissen mich aus meinen Gedanken. Was ich dort unten erblickte, jagte mir eisige Schauer über den Rücken: der sonst immer so auf gutes Benehmen versessene Mister Sullivan prügelte sich wie ein hergelaufener
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