Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
ich sie endlich wieder öffnen konnte und den Kai entlangblickte, glaubte ich, eine Erscheinung zu haben. Doch die drei Männer, die nun des Weges kamen, schienen ganz real. Und der Kerl, den sie in ihrer Mitte hatten, war kein Geringerer als Jakob Hensen. Der erkannte mich sofort und funkelte mich hasserfüllt an. Jetzt erst sah ich, dass seine Hände hinter seinem Rücken gefesselt waren.
»Was machen Sie mit Ihm?«, fragte ich den einen der beiden Männer.
»Wir bringen ihn auf ein Schiff nach Flensburg, wo er sich vor einem Gericht verantworten muss.«
Bevor ich weitere Fragen stellen konnte, zischte mein Schwager: »Frag nicht so blöd, du Hexe. Das habe ich alles dir zu verdanken, Hanne Hensen.«
Die beiden Männer blickten mich verwundert an.
» Sie sind Hanne Hensen? Das ist ja großartig. Wir haben nämlich den Auftrag, Sie mit zurück in die Heimat zu nehmen.«
»Wer hat Sie beauftragt?« Meine Stimme drohte zu versagen.
»Ihre Schwester. Sie können unbesorgt zurückkommen.«
Ich traute dem Frieden nicht. »Aber … nicht, dass ich dort ins Gefängnis wandere …« gab ich stockend zu bedenken.
»Aber warum? Der Mörder Ihres Mannes, Hauke Jessen, hat sich in Flensburg den Gerichten gestellt. Er bekam einen Prozess und wurde wegen Mordes zum Tode verurteilt und dieser Mann hier ist der Auftraggeber.«
Ich schluckte, weil mir die Tränen kamen. Hauke hatte sein Versprechen also gehalten und das Unrecht wiedergutgemacht. Er tat mir aufrichtig leid.
»Und nun fehlt nur noch er«, ergänzte der andere Mann und deutete auf Jakob.
»Hexe!«, zischte der verächtlich. Dafür stieß ihm einer seiner Bewacher so kräftig in die Rippen, dass er schwieg.
»Wir laufen morgen früh aus und erwarten Sie an Bord, Misses Hensen. Wir haben auch ein Schreiben für Sie von Ihrer Schwester«, verkündete der andere Mann, bevor sie ihren Gefangenen in Richtung des Flensburgers Schiffes trieben. Er reichte es mir, und ich überflog Lenes Zeilen gerührt. Sie war überglücklich, dass ich noch lebte, denn das hatte ich ihr gerade in meinem letzten Brief geschrieben. Nun konnte sie es angesichts der neuen Umstände gar nicht erwarten, mich unversehrt in die Arme zu schließen.
Ich war völlig durcheinander. Eigentlich müsste ich schreien vor Glück, dass ich zurück nach Hause konnte. Und doch war mir schwer ums Herz.
»Stell dir vor, die Sea Cloud ist angekommen. Ich habe unser Gepäck schon an Bord gebracht. Du hast geschlafen wie eine Tote. Ich habe alles getan, um dich zu wecken«, hörte ich Jeremiah da wie von ferne sagen. Ich suchte seinen Blick. Seine Augen glänzten voller Vorfreude auf die Heimkehr, doch dann bekamen sie einen besorgten Ausdruck.
»Was ist mir dir? Du siehst aus, als wärst du einem Geist begegnet?«
»Ich, ja, ich …« Wie sollte ich ihm schonend beibringen, dass sich unsere Wege hier trennen würden? Beide würden wir in unsere Heimat zurückkehren, allerdings in unterschiedliche Richtungen. Kaum hatte ich den Gedanken zu Ende gedacht, spürte ich eine tiefe Traurigkeit in mir aufsteigen. Ob ich Jeremiah bitten sollte, mit mir zu kommen? In Flensburg war er sicher. Ein Blick in seine Augen genügte, um den Plan zu verwerfen. Er gehörte nach Westindien und nicht in den kalten Norden. Und wenn ich es mir richtig überlegte, war mir diese paradiesische Welt längst zur zweiten Heimat geworden. Statt selbst an Bord zu gehen, würde ich nur einen Brief an meine Schwester schreiben und dem Kapitän diese Antwort für sie mitgeben. Ich hoffte, dass sie mich verstehen würde, doch ich hatte keine andere Wahl. Das spürte ich auf einmal überdeutlich.
Ich räusperte mich, bis ich entschieden sagte: »Ich komme gleich zum Schiff, aber ich habe vorher noch etwas in der Stadt zu erledigen. Und dann muss ich noch kurz einem Schiff aus meiner Heimat einen Besuch abstatten.«
Jeremiah musterte mich skeptisch, aber er stellte keine Fragen. Wie der Blitz eilte ich los und machte mich auf die Suche nach dem Geschäftshaus der Hensens. Es war nicht schwer zu finden, denn der Firmenname prangte in großen goldenen Lettern an der Fassade. Ich war froh, als ich als Erstes auf den jungen Mann traf, der damals gemeinsam mit Jakob zum Essen nach Sullivan gekommen war. Der Einzige, der freundlich zu mir gewesen war. Er war mehr als erstaunt, mich wiederzusehen. »Misses … Misses …?«, stammelte er.
»Misses Sullivan!«, entgegnete ich. »Haben Sie fertige Rumfässer, die Sie sofort auf ein
Weitere Kostenlose Bücher