Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
Strolch mit einem Seemann. Jonathan sah entsetzlich aus. Seine Kleidung war verschmutzt, sein Haar verklebt, sein Gesicht verdreckt und aufgequollen. In dem Moment hob er seinen Blick. Er musste mich erkannt haben, denn er begann unflätig zu fluchen und drohte mir mit der Faust, aber er konnte nichts mehr ausrichten. Es war zu spät. Die Sea Cloud hatte bereits abgelegt!
26
Montego Bay, Jamaika, Februar 1884
D ie kleine Georgina tröstete Valerie darüber hinweg, dass sie immer noch keine Zuckerrohrplantage erworben hatte. An Mister Kilridge lag es bestimmt nicht. Das wusste sie genau. Der Mann hatte sämtliche Plantagen abgeklappert, doch entweder waren diese ebenfalls zerstört, oder die Besitzer gaben ihr begehrtes Zuckerrohr in dieser Situation ungern her. Und die wenigen Verkaufswilligen waren bestochen worden. Richard Fuller hatte diese Plantagenbesitzer dafür bezahlt, nicht an Valerie zu verkaufen.
Zudem gab es ein weiteres unlösbares Problem. Selbst wenn Mister Kilridge Land aufgetrieben hatte, die Melasse hätte nicht gebrannt werden können. Seit jenem schicksalshaften Tag, an dem man seine Frau ermordet hatte, fehlte nämlich von Gerald Franklin jegliche Spur.
Was das Geschäftliche anging, hegte Valerie keine allzu großen Hoffnungen mehr, dass es sich zum Guten wenden würde. Sie hatte sich bereits damit abgefunden, dass sie den Gürtel in Zukunft würde enger schnallen müssen. Solange sie das Haus halten konnte, wollte sie den Kopf nicht hängen lassen. Je aussichtsloser es erschien, das nächste Schiff mit ihrem einzigartigen Pur-Rum zu beladen, umso mehr Zeit verbrachte sie mit dem Kind, obwohl Asha sich ebenso danach riss, Georgina zu versorgen.
»Besuch für Sie, Misses Brown«, rief das frischgebackene Kindermädchen deshalb erfreut und streckte die Arme aus, um den Säugling entgegenzunehmen.
Valerie zögerte. »Wer ist es denn?«
»Ich kenne den Herrn nicht. Ein gewisser Mister Morton«, erwiderte Asha und riss Valerie das Baby förmlich aus dem Arm.
»Aber gleich zurückbringen, wenn mein Besuch fort ist. Du hast heute frei. Ich bin dran«, knurrte Valerie. »Und lass uns Tee und ein paar Kekse bringen.«
»Das sind ja ganz neue Sitten, dass Sie mir ständig freigeben«, murrte Asha, bevor sie Mister Morton eintreten ließ. Er schien sehr verlegen und entschuldigte sich wortreich für seinen unangekündigten Besuch.
Valerie hingegen wollte schier vor Neugier platzen. Was trieb ihn aus Kingston ins ferne Montego Bay? War er etwa gekommen, um ihr einen Antrag zu machen?
»Was führt sie zu mir, Mister Morton?«, fragte Valerie und versuchte, möglichst sachlich zu klingen.
»Ich bin gekommen, um Ihnen ein Geschäft anzubieten.«
»Geschäft?«, fragte Valerie. Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht. Es beruhigte sie ungemein, dass er keine persönlichen Ambitionen hegte. Und ehe sie es sich versah, hatte sie ihre Erleichterung bereits in klare Worte gefasst. »Da fällt mir ein Stein vom Herzen. Ich habe schon befürchtet, Cecily hat Sie geschickt. Sie wollte uns nämlich zu Weihnachten verkuppeln. Und es hätte mir leidgetan, wenn Sie den weiten Weg vergeblich gemacht hätten.«
Erst an seiner versteinerten Miene erkannte sie, dass sie einmal wieder schneller geredet als nachgedacht hatte. Ihre Offenheit in dieser Sache war nicht besonders taktvoll gewesen. Sie hoffte, ihr Besucher würde es ihr nicht übel nehmen.
»Sie wissen es also noch gar nicht, oder?«, fragte er bekümmert.
»Was sollte ich denn wissen?« Der Ton seiner Stimme missfiel ihr.
»Ihre Freundin ist bei der Geburt des Kindes gestorben.«
»O Gott«, entfuhr es Valerie, und sie ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Und das Baby?«
»Das Kind hat es auch nicht geschafft. Mister Hunter ist untröstlich. Ach, es ist ein Elend. Sie war doch so lebensfroh.«
»Das stimmt allerdings«, entgegnete Valerie aus vollem Herzen. Sie konnte es trotzdem nicht begreifen. Sofort meldete sich ihr schlechtes Gewissen. War es nicht allein ihre Schuld gewesen, dass sie so hässlich auseinandergegangen waren? Wäre es nicht klüger gewesen, Mister Morton am Tisch der Hunters keine geschäftlichen Angebote zu unterbreiten?
»Ich hätte mich nicht in Ihre Geschäfte mit der Familie Fuller einmischen dürfen. Dann hätten Cecily und ich uns nicht erzürnt.«
»Bitte zerbrechen Sie sich nicht den Kopf, Misses Brown. Ich war dabei und kann beschwören, dass sich die Damen des Hauses alle beide nicht besonders nett gegen Sie verhalten
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