Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
habe schon verstanden, dass Sie mich nicht heiraten möchten. Und es wäre auch für mich nicht schön, eine Frau zu bekommen, die einen anderen liebt …«
Ein Beben durchfuhr Valeries Körper. Er ahnte hoffentlich nicht, dass sie …
»… nein, ich knüpfe eine geschäftliche Bedingung an den Verkauf. Ich möchte am Rumgeschäft beteiligt werden. Dafür gebe ich Ihnen die Plantagen ohne Entgelt.«
Valerie fiel förmlich ein Stein vom Herzen. »Das ist hervorragend. Dann können wir in Zukunft doppelt so viel liefern. Und Sie regeln die Sache in Kingston, während ich die Aufsicht über die hiesige Produktion führe. Wir brauchen nur einen guten Anwalt für unseren Brennmeister. Der darf nicht ausfallen«, erklärte Valerie und klatschte vor Begeisterung in die Hände. »Aber ich muss den Rum jetzt nicht Morton-Hensen Rum nennen, oder?«
»Um Himmels willen, nein, das hört sich ja furchtbar an, aber wir erweitern das Geschäft mit London. Ich habe da einige Kontakte. Auch das mit dem Anwalt ist kein Problem. Ich kenne da einen, der hat bislang jeden Prozess gewonnen.«
»Genau der richtige Mann für uns. Lassen Sie sich nicht bremsen«, lachte Valerie, bevor sie wieder ganz ernst wurde. »Wie kommt es eigentlich zu diesem Sinneswandel?«
»James Fuller hat mir geraten, das Geschäft mit Ihnen zu machen, nachdem es mit seinem Unternehmen bergab gegangen ist.«
Valerie sah ihn mit großen Augen an.
»Haben Sie das denn noch nicht gehört? Die neuen Plantagen, die die Fullers in Montego Bay erstanden haben, sind von Schädlingen befallen und zerstört worden, und Richard Fuller ist angeblich ermordet worden … und seine Mutter soll über alledem den Verstand verloren haben, heißt es. Und nun stellen Sie sich vor, James Fuller hat in dieser fatalen Lage seine Verlobung mit Miss Hunter gelöst, obwohl ihn diese Geschäftsverbindung saniert hätte. Alle halten ihn für verrückt, ich auch zunächst, aber dann hat es mir gedämmert. Ich glaube, ich kenne den wahren Grund.« Morton musterte sie durchdringend.
»Und welcher wäre das?«, fragte sie heiser.
»Man hat ihm auf Kuba einen lukrativen Posten angeboten.«
»Kuba?«, wiederholte Valerie ungläubig.
»Ja, ich glaube, er ist bereits abgereist. Und wenn Sie eines Tages darüber hinweg sein sollten, werde ich noch einmal mein Glück bei Ihnen versuchen«, raunte Mister Morton.
Ich werde nie darüber hinweg sein, durchzuckte es Valerie eiskalt.
27
Montego Bay, Jamaika, Oktober 1865
W ir schreiben den 15. Oktober, und es wird das letzte Mal sein, dass ich in dieses Büchlein schreibe. Über dreißig lange Jahre habe ich mein Tagebuch nicht mehr angerührt. Nicht, weil ich nicht schreiben wollte, sondern weil das Leben mir keine Zeit dazu gelassen hat. Es rauschte an mir vorüber und hinterließ tiefe Narben. Ich bin nicht mehr die junge Abenteurerin, die im Jahr 1835 auf der Sea Cloud in diese außergewöhnlich schöne Bucht kam. Ich fühle mich wie eine alte verbitterte Frau, obwohl ich noch keine fünfundfünfzig bin. Aber das darf ich nicht kultivieren, denn ich habe eine wichtige Aufgabe, die mich förmlich dazu zwingt, noch möglichst lange zu leben. Manchmal, wenn ich ihn unten in der Gruft besuche, dann ist mir so, als würde er mir gut zureden.
»Anne!«, höre ich ihn dann mit seiner rauen, wohlklingenden Stimme mahnen. »Anne, du darfst nicht verzweifeln, ihr zuliebe!«
Es ist schmerzlich, an all jene Schicksalsschläge erinnert zu werden, doch es muss sein. Ein einziges Mal noch! Danach werde ich dieses Buch nicht mehr anrühren, bis das Kind volljährig wird und ich es ihm zu treuen Händen übergebe. Mir bleibt keine Wahl. Sie ist mir wie aus dem Gesicht geschnitten, und doch kann man die Merkmale ihrer Herkunft nicht verleugnen. Das will ich auch gar nicht, denn ich stehe dazu, und ich liebe sie deshalb nur noch mehr. Aber es wird Menschen geben, die mit Fingern auf sie zeigen, und denen soll sie eines Tages mit hoch erhobenem Haupt und voller Stolz die Wahrheit ins Gesicht schleudern können. Eines Tages, wenn sie die Herrin von Sullivan-House ist. Darum muss sie alles erfahren. Aber ich darf nie mehr auch nur einen Gedanken an die Vergangenheit verschwenden, weil mir jede Erinnerung daran die Kraft für die Zukunft raubt.
Damals, als ich in Montego Bay ankam, war ich voller Hoffnung, dass Jeremiah und mir eine gemeinsame Zukunft vergönnt sein würde und dass ich es schaffen würde, auch wirtschaftlich auf dieser Insel Fuß zu
Weitere Kostenlose Bücher