Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
bis wir uns im zwanzigsten Jahrhundert befinden, da dürfte es wohl damit vorbei sein, dass man von den Eltern verheiratet wird«, entgegnete Valerie spöttisch. »Mary Tenson ist doch nicht so dämlich, überall herumzutratschen, dass sie Sie heiraten wird, wenn das jeglicher Grundlage entbehrt. Sie scheinen jedenfalls nichts unternommen zu haben, um Marys Hoffnungen zu zerstören. Im Gegenteil, sie tat so, als wäre die Entscheidung erst kürzlich gefallen und nicht in fernen Kinderzeiten.«
James räusperte sich verlegen. »Es hat ein Fest in unserem Haus gegeben, zu dem auch die Tensons eingeladen waren. Und da hat meine Mutter, ohne es vorher mit mir abzusprechen, vor allen Gästen verkündet, dass man sich hoffentlich zur baldigen Verlobung von Mary und mir wiedersähe.«
»Und Sie haben natürlich heftig protestiert und sich gegen diesen Übergriff Ihrer Mutter verwehrt!«, höhnte Valerie.
»Nein, ich habe wie ein Gentleman geschwiegen und mir vorgenommen, Mary Tenson zeitnah aufzusuchen, um ihr persönlich mitzuteilen, dass es nicht meinem Wunsch entspricht.«
»Wie lange ist denn dieser Abend her?«
James wand sich. »Es war kurz vor dem Rennen. Ein paar Tage bevor wir beide uns begegnet sind! Seitdem ist … alles anders.«
Valerie tippte sich an die Stirn. »Sie haben also Mary Tenson die ganze Zeit über in dem Glauben gelassen, dass Sie demnächst um ihre Hand anhalten werden?«
»Ja, ich hätte sie wahrscheinlich auch geheiratet, wenn nicht …«
»Es wurde aber auch Zeit, dass Sie endlich die Wahrheit sagen. Sie haben an dem Abend in Ihrem Haus nichts Gegenteiliges verlauten lassen, weil Sie vorhatten, sich mit Mary zu verloben. Das ist doch schön. Weniger schön ist es, dass Sie mir gegenüber das Ganze runterspielen wollen. Was bezwecken Sie damit? Wollen Sie vor Ihrer Verlobung noch einmal ausprobieren, ob Ihr Charme auch auf andere Damen wirkt?«
»Das ist gemein, Misses Sullivan! Damit würden Sie mir einen üblen Charakter unterstellen. Aber um es noch einmal in aller Offenheit zu sagen: Ja, ich habe eine Ehe mit Mary Tenson in Erwägung gezogen. Es wäre wirtschaftlich und gesellschaftlich gesehen die ideale Verbindung. Wenn ich meinem Verstand gefolgt wäre, hätte ich wohl um ihre Hand angehalten, obwohl mir der Gedanke nicht gerade Glücksgefühle verursacht hat. Ich habe nämlich, auch wenn Sie es mir nicht glauben, eine romantische Seite. Und mein Herz schlägt für Mary wie für einen guten Freund. Wer konnte denn ahnen, dass ich nur wenig später erfahren würde, wie es sich anfühlt, wenn …«
»Halten Sie ein! Das will ich gar nicht wissen! Wirtschaftlich und gesellschaftlich gesehen liegen Sie goldrichtig. Was wollen Sie mehr? Dann darf ich Ihnen also gratulieren«, erklärte Valerie steif. Sie legte den Kopf schief. »Kann ich noch etwas für Sie tun?«
James nickte. »Ja! Sie können aufhören, mich mit Häme zu überschütten. Ich bin nicht gekommen, um mit Ihnen zu streiten, sondern um mit Ihnen und Montego King einen Ausritt zu machen.«
»Black Beauty! Mein Pferd heißt Blacky Beauty!«
James stieß einen tiefen Seufzer aus. »Gut, dann frage ich Sie in aller Form. Würden Sie mit mir, meiner Stute Angel und Blacky Beauty ausreiten?«
Zwei Seelen kämpften in Valeries Brust. Am liebsten hätte sie sein Angebot hochmütig abgelehnt, doch es war zu verlockend, mit ihm durch die herrliche Natur zu reiten, zumal es ein etwas kühlerer Tag war.
James sah sie bittend an, dann sagte er leise: »Miss Sullivan, ich habe keine Lust, mich länger vor Ihnen verteidigen zu müssen. Sie haben mich bereits verurteilt. Dann nehme ich das Urteil an und empfehle mich.« Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ den Salon.
»Ich komme mit!«, zischte Valerie, doch das hörte er gar nicht mehr. Zornig rannte Valerie ihm hinterher. »Ich habe gesagt, ich komme mit, oder gilt Ihr Angebot nicht mehr?«, rief sie wütend.
James blieb stehen und wandte sich zu ihr um. »Nichts lieber als das!«, sagte er und sah sie aus seinen grünen Augen beinahe zärtlich an.
Valerie ging dieser Blick durch und durch, aber sie würde sich das niemals anmerken lassen. »Dann folgen Sie mir!« Valerie schoss an ihm vorbei und machte sich auf den Weg zum Stall, ohne sich noch einmal umzudrehen. Aber sie lauschte sehr wohl, ob seine Schritte auch wirklich hinter ihr blieben.
Im Stall befand sich außer Black Beauty ein weiteres Pferd. Eine betagte Stute, von der ihr der Kutscher, der die
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