Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
der Welt. Haben Sie bitte Geduld. Ich verspreche es Ihnen. Sie werden dann recht bald erfahren, wie ich mich entschieden habe.«
Ehe ich michs versah, hatte er mir eine blonde Locke aus der Stirn gestrichen. »Fühlen Sie sich auf keinen Fall bedrängt«, raunte er verständnisvoll.
Ich atmete tief durch und schoss ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei ins Freie.
Vor der Tür nahm ich einen tiefen Atemzug der frischen Sommerluft. Sie war heute besonders würzig und schmeckte nach Wind und Salz. Ein leichter Wind fegte über die Förde. Ich riskierte einen Blick hinüber zu den Dreimastern, die alle nur darauf warteten, Richtung Karibik in See zu stechen. Der Gedanke, ich würde bald selbst auf einer dieser Inseln sein, versetzte mich in Aufregung. Ein Abenteuer ganz nach meinem Geschmack. Eigentlich ist alles sehr gut gelaufen, ging es mir durch den Kopf. Aber warum hatte ich trotzdem ein so verdammt mulmiges Gefühl?
Ja, und dieses Gefühl sollte mich auch in den nächsten Tagen nicht loslassen. Ich schob es auf den Zustand meiner Mutter. Sie wurde immer schwächer, schlief den ganzen Tag, und wenn sie erwachte, griff sie nur stumm nach meiner Hand. Das Sprechen fiel ihr schwer. Ich wusste, dass es bald zu Ende gehen würde. Es brach mir schier das Herz, in ihr immer schmaler werdendes Gesicht mit den großen traurigen Augen zu sehen. Manchmal wünschte ich, sie würde einfach einschlafen, damit sie nicht mehr so leiden musste. Erst, als sie an diesem Nachmittag partout nicht erwachen wollte, bereute ich allerdings zutiefst, jemals etwas Derartiges gehofft zu haben. Ich schrie verzweifelt ihren Namen, schüttelte und rüttelte sie, doch das Unabwendbare war eingetreten. Meine geliebte Mutter war tot!
Ich hielt ihre Hand, die so eiskalt war, dass es mich schauderte. Ich versprach ihr, dass ich glücklich werden würde und dass ich gewartet hätte, bis ich ihr Herz mit meinem Plan nicht mehr beschweren konnte. Und ich versprach ihr, eines Tages zurückzukehren und an ihrem Grab zu weinen. Ich versicherte ihr, dass es mir leidtäte, dass ich nicht zu ihrem Begräbnis kommen könnte. Ich schwor ihr, dass sie, was die Zukunft auch bringen würde, immer einen Platz in meinem Herzen habe. Und dass ich an der Seite Hauke Jessens bestimmt mein Glück finden und eines Tages mit ihren Enkelkindern an der Hand zu ihrem Grab kommen würde.
Stundenlang blieb ich mit ihr allein, bis ich das Sterbezimmer schließlich mit gesenktem Kopf verließ und nach meinem Vater schickte. Ich wartete, bis er herbeigeeilt kam, und umarmte ihn fest. Wieder und immer wieder. Er weinte bitterlich und merkte gar nicht, dass ich keine einzige Träne vergoss. Dabei war mir so schwer ums Herz bei der Vorstellung, mich an einem einzigen Tag von beiden Eltern trennen zu müssen. Ich eilte in mein Zimmer und schrieb Hauke in knappen Worten eine Nachricht, dass meine Mutter verstorben sei. Dabei vermied ich jede Formulierung, die verraten könnte, dass wir uns näherstanden und dass dies die Aufforderung war, mich aus meinem Elternhaus zu entführen. Ich war vorsichtig für den Fall, dass die Botschaft womöglich in die falschen Hände geraten sollte.
Unser Hausmädchen Anna versprach, die Nachricht umgehend zu Hensens Kontorhaus zu bringen. Es war noch nicht einmal achtzehn Uhr. Hauke würde gewiss noch bei der Arbeit sein. Danach schlich ich mich noch einmal in Mutters Zimmer. Vater schluchzte immer noch herzzerreißend. Ich setzte mich auf einen Stuhl neben ihn, nahm seine Hand und drückte sie fest. Er aber nahm diese Berührung in seiner Trauer kaum wahr. Mich überkam mit aller Macht mein schlechtes Gewissen. Durfte ich den gebrochenen Mann wirklich allein zurücklassen in seinem Elend? Was, wenn er jetzt seine Schiffe verlor und unser Haus? Was, wenn er ihr vor lauter Kummer bald folgen und ich ihn niemals wiedersehen würde?
Gegen Abend war ich beinahe so weit, alles abzublasen und mich in mein Schicksal zu fügen. Es war ein Satz Vaters, der mich auf den Boden der Tatsachen zurückholte.
»Wirst du dein Versprechen nun halten und Pit Hensens Frau werden?«
Ich war fassungslos. Mutter war noch keinen ganzen Tag tot, da musste er mich auf diese unglückselige Ehe ansprechen.
»Wie kannst du es wagen, an Mutters Totenbett diese Heirat zu erwähnen?«, fauchte ich ihn an.
»Gerade hier!«, entgegnete er streng. »Denn du hast es ihr geschworen, dass du diesen Mann heiraten wirst, wenn sie von uns gegangen ist.«
Das wusste ich nur allzu
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