Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
deinen Mund!« Ich wollte es selbst nicht glauben, aber mein Befehlston hatte Erfolg. Plötzlich war es totenstill, und ich konnte mich erneut Vater zuwenden.
»Man hat mich in den Keller bestellt, damit man mich bei seiner Leiche finden sollte. Und nun glaubt Per Hansen, ich wäre seine Mörderin. Aber es war Christian Hensen, der mich in diese Falle gelockt hat.«
Vater versuchte sich aufzubäumen, doch das gelang ihm nicht mehr. Seine Augen waren vor Panik weit geöffnet.
»Du, du musst fort. Rette dich!«, ächzte er mit letzter Kraft, griff sich ans Herz und stieß einen tiefen Seufzer aus. Sein Kopf kippte zur Seite.
»Vater!«, schrie ich verzweifelt auf. »Vater!« Dann drehte ich mich nach meiner Schwester um. Ich befürchtete, sie würde in ein lautes Lamento ausbrechen und mich dafür verantwortlich machen, doch stattdessen fiel sie mir um den Hals und klammerte sich an mir fest, als würde sie ertrinken. »Du bist ein freches Gör, aber keine Mörderin«, schluchzte sie. »Christian Hensen hat Vater auf dem Gewissen. Und ich schwöre dir. Wir ruhen nicht, bis wir es diesem Schuft beweisen können.«
Ich brach ebenfalls in Tränen aus. Dass meine Schwester einmal im Leben zu mir stand, rührte mich zutiefst.
An nur einem Tag war ich Waise und Witwe geworden. Schluchzend lagen Lene und ich uns in den Armen.
Erst als Heinrich ins Zimmer zurückkehrte, ließen wir einander los. »Er hatte schon länger Herzbeschwerden«, sagte er ganz ruhig. »Aber er wollte euch nicht beunruhigen. Die heutige Aufregung war zu viel für ihn, aber wir müssen jetzt vernünftig sein.«
»Und was heißt das?«, fragte ich bang.
»Das bedeutet, dass ich dich in Sicherheit bringe, bis sich die Wahrheit aufgeklärt hat. Und du, Lene, kümmerst dich um die Beerdigung. Ich werde jetzt den Notar Jan Brodersen aufsuchen, um zu klären, wie Pit Hensen und Vater sich rechtlich geeinigt hatten. Dann komme ich zurück, bevor ich das Schiff zum Auslaufen klarmachen lasse. Und du, Hanne, verschwindest in deinem Zimmer. Nicht, dass die beiden zurückkehren und dich doch noch mitnehmen. Dort wartest du, bis ich zurückgekehrt bin. Bis dahin habe ich auch eine Idee, wohin ich dich bringen lasse. Ich kenne da einen Kapitän in Altona, wo wir noch Ware laden.«
Ich war verstummt. Einerseits war ich Heinrich zu tiefem Dank verpflichtet, dass er mir half, andererseits ängstigte mich der Gedanke, meine Heimat zu verlassen und auf die Hanne von Flensburg zu gehen. Und was in aller Welt sollte ich in Altona?
»Meinst du nicht, ich könnte mich im Haus verbergen, bis die Wahrheit ans Licht kommt?«, fragte ich zaghaft.
»Falls …«, knurrte Heinrich, »… falls wir diese überhaupt jemals werden beweisen können. Christian Hensen ist kein Dummkopf. Und sollte das eingetreten sein, was ich befürchte, dann hatte er seine guten Gründen, seinen Onkel aus dem Weg zu räumen und dir den Mord in die Schuhe zu schieben.« Er warf Vater einen mitleidigen Blick zu. »Aber du wirst es uns nicht mehr verraten können, nicht wahr?«, bemerkte er bedauernd.
»Aber was vermutest du denn?«, wollte Lene wissen.
Heinrich machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich mache jetzt nicht die Pferde scheu. Ich werde den Notar aufsuchen und euch berichten. Aber erst einmal bringen wir Vater in sein Bett. Er hat mir einmal anvertraut, dass er im Bett sterben möchte. So soll er dort zumindest ruhen, bis der Bestatter kommt.«
Heinrich packte Vater unter den Armen an, Lene und ich nahmen die Füße. Als ich schließlich keuchend vor seinem Bett stand und ihn betrachtete, stellte ich fest, dass er friedlich aussah. Als ob er schliefe. Lene und ich fassten uns an den Händen und ließen unseren Tränen erneut freien Lauf.
Heinrich aber bereitete unserer Abschiedszeremonie ein jähes Ende. »Bitte, Hanne, versteck dich! Ich traue Christian Hensen nicht über den Weg. Ich würde mich nicht wundern, wenn er sich im Park versteckt hat und das Haus beobachtet!«
Seufzend strich ich Vater ein letztes Mal über die Wangen.
»Darf ich wenigstens noch einmal nach Jannis sehen?«, bat ich leise.
»Nein«, erwiderte Heinrich, während Lene im selben Moment sagte: »Natürlich, komm!«
Ich mied Heinrichs Blick und folgte meiner Schwester ins Kinderzimmer, das Lene nach dem Auszug aus ihrem Haus am Holm als Erstes in der Villa eingerichtet hatte. Jannis schlief tief und fest, als ich an sein Bettchen trat. Am liebsten hätte ich ihn hochgehoben und geherzt, aber so
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