Das Haus an der Montego Bay: Roman (German Edition)
Schadenfreude die Hände.
Ich, die Witwe Pit Hensens, Hanne Hensen, geborene Asmussen, und die Alleinerbin seines Vermögens, versichere, dass ich in meiner Verzweiflung über den Tod meines geliebten Mannes Pit Hensen meinem jungen Leben ein Ende machen werde. Ich setze hiermit meinen Neffen Jannis Andresen zu meinem Erben ein. Meine Schwester Lene und ihr Mann Kapitän Heinrich Andresen sollen das Erbe so lange verwalten, bis er volljährig ist. Während sich mein Schwager Heinrich Andresen auf der Reise nach Westindien befindet, wird der Notar Jan Brodersen ihn in der Geschäftsführung vertreten und alle Entscheidungen, die das Handelshaus Hensen & Asmussen betreffen, in seinem Sinne fällen.
Ich werde Anna sogleich Pits und mein Testament anvertrauen und dann draußen auf der Bank unter dem Apfelbaum auf Heinrich warten. Ich halte es im Haus nicht mehr aus. Ich weiß, es ist Lene gegenüber nicht besonders nett, was ich vorhabe, aber es geht nicht anders. Einen rührigen Abschiedsbrief werde ich sichtbar in der Diele deponieren. Das kann ich meiner Schwester nicht ersparen. Ich bezweifele, dass Lene so stark ist, die Trauer über meinen Tod zu spielen. Deshalb ist es in ihrem Interesse besser, ich inszeniere alles Weitere lebensecht. Wenn Heinrich aus Westindien zurück ist, kann er ihr ja meinetwegen die Wahrheit anvertrauen. Dann ist Gras über die Sache gewachsen.
Ich werde erst mein Köfferchen in den Park tragen und dann Anna wecken. Sie muss mir versprechen, die Testamente morgen in aller Frühe zum Notar zu bringen. Ich muss bei ihr einen erbärmlichen Eindruck hinterlassen. Ganz so, als wäre mir ein Selbstmord durchaus zuzutrauen. Arme Anna! Sie tut mir jetzt schon leid, denn sie soll ja glauben, dass sie mich bei der Übergabe der Testamente zum letzten Mal gesehen hat, bevor ich den Tod in den Fluten gesucht habe … Danach verlasse ich das Haus und warte darauf, dass mich jemand auf das Schiff holt.
»Du bist ein wahrer Teufelskerl, Dirn«, höre ich Pit aus dem Jenseits sagen. Und auch Vater lobt mich für meinen Mut. »Ich kann das ganz und gar nicht gutheißen«, knurrt er. »Aber wir haben keine andere Wahl!«
Weiß der Himmel, wo ich dich, liebes Tagebuch, wieder aufschlagen werde. Auf einem Schiff, das auf den Weltmeeren segelt, oder gar auf einer mir gänzlich unbekannten, fernen Insel mit dem wohlklingenden Namen Saint Croix? Wie dem auch immer sei, ich habe alles getan, dass die Angelegenheit in Flensburg zu meiner Zufriedenheit verläuft. Christian hat sich wahrscheinlich für unschlagbar schlau gehalten. Aber nun wird er hoffentlich bald über seine eigenen Fallstricke stolpern und im Gefängnis landen. Und dann setze ich mich auf das nächste Schiff zurück und … Ich stocke, und mir wird plötzlich bewusst, dass mein genialer Plan einen bösen Haken hat. Wenn ich jemals wieder auftauche, werde ich unweigerlich in den Verdacht geraten, meinen Mann umgebracht und den Mord mittels meines gefälschten Abschiedsbriefs Christian in die Schuhe geschoben zu haben … Und dann reiße ich nicht nur mich in den Abgrund, sondern meine Schwester, Heinrich und den kleinen Jannis. Verzweiflung macht sich in mir breit, aber ich habe dennoch keine Wahl: Ich muss fort, und zwar ohne Wiederkehr! Ich habe soeben mein eigenes Todesurteil unterschrieben: Hanne Hensen gibt es nicht mehr!
10
Jamaika, Juni 1883
H ätten Sie Lust, mich zu einem Cricketspiel zu begleiten?« Ethan Brown lächelte Valerie an. Der junge Mann aus London besaß Charme. Keine Frage. Und doch zögerte Valerie mit ihrer Antwort. Sie warf einen prüfenden Blick zu ihrer Großmutter hinüber, die gerade in ein angeregtes Gespräch mit Paul, wie sie Doktor Brown vertraut nannte, vertieft war. Was hatte sie damit bezweckt, den alten Doc und seinen gut aussehenden Enkel zum Essen einzuladen? Wenn es bei ihnen üblich wäre, Gäste zu haben … aber so? Wann hatte es das letzte Dinner im Hause Sullivan gegeben?
»Ist die Antwort derart schwierig, Miss Sullivan?«, lachte Ethan. »Oder finden Sie Cricket so gähnend langweilig?«
»Nein, nein«, beeilte sich Valerie zu sagen. »Ich komme gern mit.«
»Das freut mich außerordentlich. Ich war in London immer ganz wild danach. Mal sehen, wie hierzulande gespielt wird«, entgegnete er. »Nächsten Sonntag?«
Valerie nickte, wenngleich sich ihre Bedenken noch nicht zerstreut hatten. Hatten sich Großmutter und der Doktor abgesprochen? Versuchte Grandma, sie endgültig von ihren
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