Das Haus auf den Klippen
Freemans Godspeed. Es war die Kopie
eines Briefs an Gouverneur Shute aus der Hand von Jonathan
Weekes, Mitglied des Magistrats. Der Brief informierte Seine
Exzellenz, »am einunddreissigsten August im jahre des HErrn
eintausendsiebenhundertsieben«, habe Kapitän Andrew Freeman
wider alle Vernunft die Segel gehißt, obwohl »ein nordostwind
blies, sonder zweifel vorbote eines näher kommenden sturms«.
Der einzige Überlebende, Ezekiel Snow, ein Schiffsjunge, »berichtet uns, der Kapitän habe wild erregt und wie von sinnen
geschrieen, dass er seine kleine tochter wieder in die arme ihrer
mutter zurückbringen muss. Alle wussten, dass die mutter des
kindleins tot war, und wurden von grösster sorge erfüllt. Die Godspeed ward auf die untiefen getrieben und zerschellte daselbst mit einer betrüblichen zahl an opfern.
Kapitän Freemans leiche ward bei Monomoit an land gespült,
und er ward zu seiten seiner frau Mehitabel bestattet, da er nach
dem zeugnisse des Schiffsjungen seine liebe zu ihr herausgeschrieen, als er zu seinem schöpfer heimging.«
Irgend etwas war damals geschehen, weshalb er seine Meinung änderte, dachte Menley. Doch was nur? Er versuchte die
Kleine ihrer Mutter zurückzubringen, die bereits tot war. Er
schrie seine Liebe zu ihr heraus, als er zu seinem Schöpfer
heimging.
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O
bwohl der Tag zweifellos heiß zu werden versprach, beschloß Scott Covey, zu der Anhörung vor Gericht einen
marineblauen Sommeranzug zu tragen, dazu ein langärmliges
weißes Hemd und eine gedämpft blaugraue Krawatte. Er hatte
überlegt, ob er nicht sein grünes Jackett, die Khakihosen und ein
Sporthemd anziehen sollte, machte sich dann aber klar, daß er
damit nicht den erwünschten Eindruck auf den Richter gemacht
hätte.
Er war sich unschlüssig, ob er den Ehering tragen sollte.
Würde das zu sehr nach Effekthascherei aussehen? Vermutlich
nicht. Er steckte sich den Ring an.
Als er fertig zum Weggehen war, betrachtete er sich im Spiegel. Vivian hatte ihm erzählt, sie beneide ihn darum, daß er so
leicht braun wurde. »Ich bekomm Sonnenbrand, und die Haut
schält sich, und wieder Sonnenbrand, und die Haut schält sich
wieder«, hatte sie geseufzt. »Du kriegst einfach diese tolle
Bräune, und deine Augen sehen noch grüner aus und deine Haare blonder, und es drehen sich noch mehr Mädchen nach dir
um.«
»Und ich dreh mich nach dir um«, hatte er geflachst.
Er überprüfte sein Spiegelbild vom Scheitel bis zur Sohle und
verzog das Gesicht. Er hatte neue bequeme Halbschuhe von
Gucci an. Irgendwie sah er damit zu sehr wie aus dem Ei gepellt
aus. Er ging zum Wandschrank und holte sein altes, blankgeputztes Paar Schuhe heraus. Schon besser, dachte er, als er wieder in den Spiegel blickte.
Sein Mund fühlte sich plötzlich trocken an, als er laut sagte:
»Jetzt geht’s zur Sache.«
Jan Paley kam, um bei Phoebe zu bleiben, während Henry zu
der Anhörung aufbrach. »Gestern nachmittag war sie ziemlich
aufgeregt«, warnte Henry. »Etwas, was Menley über das Remember House sagte, brachte sie durcheinander. Ich hab so ein
Gefühl, daß sie versucht, uns etwas mitzuteilen, aber nicht die
Worte dafür findet.«
»Vielleicht kommt es ja zum Vorschein, wenn ich einfach mit
ihr über das Haus rede«, schlug Jan vor.
Amy kam um acht Uhr beim Remember House an. Es war das
erstemal, daß sie Mr. Nichols in einem formellen Anzug sah,
und sie warf ihm einen bewundernden Blick zu. Er hat so etwas
Elegantes an sich, dachte sie. Er gibt einem das Gefühl, daß er
alles, was er anpackt, auch gut zu Ende bringt. Er überprüfte
gerade die Unterlagen in seiner Aktentasche und wirkte geistesabwesend, doch da schaute er zu ihr hoch und lächelte. »Hallo,
Amy. Menley macht sich noch fertig, und die Kleine ist bei ihr.
Warum gehen Sie nicht rauf und übernehmen Hannah? Wir sind
allmählich spät dran.«
Er war so ein netter Mann, dachte Amy. Sie fühlte sich
scheußlich bei dem Gedanken, daß er seine Zeit damit verschwenden würde, in New York nach dem Video von dem kleinen Bobby zu suchen, während es doch nur wenige Minuten von
hier in Elaines Haus war. In einem Anfall von Vertrauensseligkeit platzte sie heraus: »Mr. Nichols, darf ich Ihnen was sagen,
aber bitte nicht verraten, daß Sie’s von mir wissen?«
Sie hatte den Eindruck, als sei er beunruhigt, doch dann sagte
er: »Ja, natürlich.«
Sie erklärte ihm die Sache mit dem Videofilm, wie sie ihn
entdeckt und mitgenommen, dann wieder
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