Das Haus der bösen Mädchen: Roman
nickend: »Ja, ja, der Junge ist sehr musikalisch.«
In der siebten Klasse verbrannte er die Geige. In einer sorgfältig geplanten Aktion. Er hatte in der Kammer eine nur locker zugekorkte Flasche Petroleum gefunden, eine Plastiktüte darüber gestülpt, sie mit einem Gummi befestigt und das Ganze in Zeitungspapier eingewickelt.
Die Musikschule war drei Busstationen entfernt. Unterwegs trällerte er einen Beatles-Song vor sich hin. Er war glücklich, obwohl noch gar nichts geschehen war. Im Unterricht spielte er so hingebungsvoll wie noch nie, und die Lehrerin fragte verblüfft, warum er das nicht früher so hingekriegt hätte.
Nach Hause ging er zu Fuß. Er bog in eine menschenleere Gasse ein, kletterte über einen Zaun und stand auf einer verlassenen Baustelle.
Eine ganze Weile betrachtete er fasziniert die Flamme, die eifrig seinen hölzernen Feind verschlang. Noch nie hatte er etwas Schöneres gesehen. Er würde nie wieder eine Geige besitzen, er würde abnehmen, seine Muskeln trainieren, auf den Hof gehen und so werden, wie er immer sein wollte.
Gegen halb neun kam er nach Hause. Seine Mutter wurde bei seinem Anblick ganz blass. Seine Jacke war zerrissen und mit Blut und Kalk beschmiert. Auch im Gesicht und an den Händen hatte er Blutspuren. Er hielt der Mutter den verkohlten Deckel des Geigenkastens hin.
»Aber reg dich bitte nicht auf«, sagte er abgehackt, mit stockendem Atem, »sie waren zu zehnt. Sie haben mich auf eine Baustelle geschleppt, mich an Armen und Beinen festgehalten und meine Geige verbrannt. Sie waren nicht von unserem Hof. Ich habe sie vorher noch nie gesehen. Das waren Barbaren, richtige Barbaren.«
Als die Eltern ihm eine neue Geige kaufen wollten, zerdrückte er eine Träne, atmete schwer und flüsterte: »Nein, bitte nicht … Ich kann nicht mehr spielen, ich könnte sie nicht in die Hand nehmen, ich würde immer das Feuer vor mir sehen und diese schrecklichen Visagen, und wie sie mich festhielten und mich zum Zuschauen zwangen …«
Die Geschichte des Jungen mit der Geige faszinierte ihn so sehr, dass er sie aufschrieb. Es wurde eine kleine Erzählung. Er schilderte ein ungelenkes Wunderkind, das nur für die Musik lebt und weit entfernt ist von der groben Wirklichkeit.Anschaulich beschrieb er den Anführer der Bande, die Verfolgungsszene, den brutalen Angriff auf den jungen Musiker und das barbarische Ritual der Vernichtung des herrlichen Instruments. »Schau hin, schau hin, du Schwein!«, sagt der Anführer heiser und tritt das gefesselte Wunderkind in den Bauch. Der Widerschein des Feuers beleuchtet die vertierten Gesichter. Und die von Flammen umloderte Geige spielt plötzlich eine wunderschöne Melodie, das Allegro aus Mendelssohns Vierter Sinfonie.
Der Vater ließ die Erzählung von seiner Sekretärin in mehreren Exemplaren abtippen. Das Meisterwerk wurde einem Bekannten gezeigt, einem Mitglied des Schrifstellerverbands und recht bekanntem Romanautor. Der kommentierte die Erzählung mit einem beifälligen Knurren. Seitdem erzählte die Mutter allen Bekannten beiläufig, ihr Sohn habe eine große literarische Begabung offenbart. Als sie Oleg einmal vor Gästen fragte: »Willlst du uns nicht etwas vorlesen?«, senkte er bescheiden den Blick und sagte, das Geschriebene sei noch zu roh zum Vorlesen, und überhaupt arbeite er im Moment an einem Filmszenarium.
Er schrieb tatsächlich, und zwar an einem endlosen Stoff. Es war keine richtige Geschichte, eher eine Art Tagebuch, er beschrieb sich selbst und seine Umwelt, allerdings nicht realistisch, sondern so, wie er sie gern gehabt hätte.
Er wollte gern schlank, muskulös und vulgär sein, und eine solche Figur beschrieb er. Er wünschte sich, dass alle Mädchen seiner Klasse hinter ihm her wären, und auf den Seiten seines Tagebuchs waren sie es tatsächlich. Die jämmerlichen einsamen Vorstellungen vor dem Schlafzimmerspiegel der Eltern brauchte er nicht mehr. Auf dem Papier wurden seine geheimsten Träume Wirklichkeit.
Die Eltern kauften ihm eine Schreibmaschine. Anstelle der früheren Haushaltshilfe Swetlana, die einmal in der Woche geputzt hatte, wurde Raïssa engagiert, die täglich kam. Der Wohlstand der Familie wuchs, der Vater hatte einen neuenPosten in seinem Amt bekommen, die Mutter leitete im Kulturministerium die Abteilung für internationale Beziehungen, das heißt, sie entschied, wer ins Ausland fahren durfte. Alle suchten ihre Freundschaft, in ihrem Haus traf sich die Creme des sowjetischen Films und
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