Das Haus der bösen Mädchen: Roman
Borodin, »einen Moment. Was für eine Galina Solodkina? Wovon redest du?«
»Du sollst mich doch nicht unterbrechen. Hab Geduld.«
»Entschuldige.« Borodin stand auf, um den Tisch abzuräumen, aber seine Mutter gebot ihm energisch Einhalt.
»Mach keine Hektik. Ich räume hinterher ab. Setz dich hin und hör zu.«
»Schon gut, Mama, schon gut.« Borodin setzte sich gehorsam wieder.
»Also weiter. Als ich die Dame unter ›K‹ gefunden hatte, fiel mir sofort alles wieder ein. So um 1980 hatte eine Gruppe von Kunsthistorikern eine Einladung zu einer Konferenz an der Sorbonne bekommen. Damals ließ man die Leute nur ungern ins Ausland, besonders in kapitalistische Länder, und einige von uns hatten Schwierigkeiten, darunter auch ich. Und da hat Alewtina – erinnerst du dich an Alewtina?«
Borodin nickte, wollte etwas sagen, besann sich aber und hob sich seine Fragen für später auf.
»Alewtina hatte überall nützliche Bekannte, und sie regelte alles mit Hilfe dieser Dame aus dem Kulturministerium. Verstehst du jetzt endlich, Ilja?« Sie machte ein ernstes Gesicht und verkündete feierlich: »Der stellvertretende Chefredakteur der Jugendzeitschrift ist der einzige Sohn dieser Galina Solodkina, die im Kulturministerium für Auslandsreisen zuständig war.«
»Aha.« Borodin nickte. »Und weiter?«
»Weißt du, Alewtina ist eine herzensgute Seele, aber eine unglaubliche Klatschbase. Und darum habe ich sie heute ins Restaurant eingeladen. Sie weiß alles über die Familie Solodkin!«
»Möchtest du noch Tee?«, fragte Borodin nach einer langen Pause leise.
»Ja, gern. Halt, nicht so viel Sud! Dann kann ich nicht einschlafen. Nun sieh mich bitte nicht so an, Ilja. Ich weiß, das war nicht schön von mir. Ich habe unerlaubt meine Nase in den Fall gesteckt, der dich im Moment so zermürbt. Ich habe in dem scheußlichen Magazin auf deinem Schreibtisch geblättert, dann in dem Notizbuch, und bin natürlich auf deine Kreuzchen gestoßen. Ich weiß, du hast mich nicht darum gebeten, doch ich konnte mich einfach nicht beherrschen. Aber gib zu, es hat sich gelohnt!«
»Also, noch verstehe ich nicht ganz«, sagte Borodin nach einem Räuspern. »Was ist denn das Ergebnis?«
»Ja, richtig. Natürlich verstehst du noch nicht, die Hauptsache fehlt ja noch. Alewtinas Mann Michail ist Kinderpsychiater. Und vor einigen Jahren hat sich Galina Solodkina an ihn gewandt mit der Bitte, ihr ein gutes privates Kinderheim für ein geistig zurückgebliebenes vierjähriges Kind zu empfehlen. Michail wollte sich das Kind erst einmal ansehen, er nahm die Bitte sehr ernst, weißt du, aber die Solodkina erklärte, das sei nicht nötig, das Mädchen sei Waise, sie kümmere sich nur aus Mitleid um sie und wolle das Kind in gute Hände geben. Eine Empfehlung genüge vollkommen. UndMichail hat sich für sie erkundigt. Ja, das ist eigentlich alles. Na, wie ist das?«
»Was?« Borodin hob die Brauen.
»Wie findest du diese Neuigkeiten? Du hast doch gesagt, du hast eine debile Waise mit Selbstanzeige und ohne Papiere. Vielleicht ist sie das ja?«
»Sag mal, Mama, wieso stand die Nummer der Solodkina eigentlich in deinem Telefonbuch?«
»Na ja, Alewtina hat mich damals mit der Dame bekannt gemacht, für alle Fälle, falls ich mal Probleme mit einer Auslandsreise hätte und überhaupt. Die Solodkina gehörte zu den sogenannten nützlichen Leuten. Ist das denn so wichtig?«
»Ich weiß noch nicht, was hier wichtig ist und was nicht«, sagte Borodin nachdenklich. »Ich müsste mich mal mit Michail treffen.«
»Aber Ilja, hast du das vergessen – er ist doch vor vier Jahren gestorben.« Lydia seufzte. »Wir beide waren auf der Beerdigung.«
»Ach ja, richtig. Du hast gesagt, Alewtina weiß alles über die Solodkins. Was hat sie denn noch erzählt?«
»Eine Menge. Aber ich glaube, der Rest hat nichts mit dem Fall zu tun.«
»Erinnere dich trotzdem. Oder nein, ich rede am besten selbst mit Alewtina.«
»Bloß nicht!« Lydia hob abwehrend die Hände. »Ich habe doch so getan, als würde ich sie aus purer Neugier über die Solodkina ausfragen. Ich habe eine Art nostalgisches Theater inszeniert, aus Anlass des fünfzigsten Jubiläums unseres Universitätsabschlusses. Wir haben geplaudert, wie das Leben so gelaufen ist, ich habe von der Frankreichreise angefangen und bin dann auf die Solodkina gekommen. Und sie hat halb im Scherz gesagt, sie fühle sich ein bisschen unwohl, wenn sie mit mir über diese Dame spricht.«
»Interessant. Wieso
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