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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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hatte vor zehn Jahren einen Platz für eine geistig zurückgebliebene Vierjährige gesucht. Ljussja Kolomejez war gerade fünfzehn geworden. Das Alter stimmte. Aber wie viele solche Waisen gab es? Woraus ließ sich schließen, dass es sich genau um dieses Kind handelte?
    Ich muss auf jeden Fall sofort herausfinden, welche Waisenhäuser Pnyrja unterstützt, und mich vor allem mit Oleg Solodkin treffen, entschied Borodin. Für den Anfang wäre es interessant, wie er auf die Nachricht von dem Mord reagiert und ob er ein Alibi hat.
    Ein Schälchen aus durchsichtigem, angeblich unzerbrechlichem Glas rutschte durch das Gitter des Trockenständers und zersplitterte.
    Ein schlechtes Zeichen, dachte Borodin, während er Handfeger und Kehrschaufel holte, das bringt kein Glück. Jewgenija hat recht, man hat das heftige, dumpfe Gefühl von Gefahr, aber die Informationen sind zu diffus und verworren. Irgendwas sagt mir, dass ich mich beeilen muss, bevor es weitere Tote gibt. Die Zeit läuft, und die Ermittlungen treten auf der Stelle. Unsere Suche nach dieser Waldschule geht ins Leere, weil keinerlei Papiere von Ljussja existieren. Dafür hat offenbar jemand gesorgt. Aber warum?

Dreizehntes Kapitel
    Wieder zu sich gekommen, lag Raïssa lange reglos da und schaute an die Holzdecke. Ihr Herz schmerzte, jeder Herzschlag bewirkte ein heftiges Pulsieren in der linken Schulter. Das war so beängstigend, dass Raïssa fast vergaß, warum sie gestürzt war, und für alle Fälle laut nach Xenia rief. Ihr einsamer, wehmütiger Schrei verhallte ungehört, sie musste sich eingestehen, dass keine Menschenseele da war, und sich wieder an alles erinnern, auch an die formlose Gestalt in der Hängematte. Vor allem musste sie sich erst einmal zum Büfett schleppen, ein paar Tropfen Baldrian nehmen und eine Nitroglyzerintablette. Und dann den Notarzt rufen.
    Stöhnend und sich an alles klammernd, woran ihre Hände Halt fanden, bewegte sie sich langsam zum Esszimmer, warf den Schaukelstuhl um und ertastete endlich den Lichtschalter. Sie drückte darauf – keine Reaktion. Der Strom in der Siedlung war wieder einmal zur Nacht abgeschaltet worden.
    Die Medizin fand sie sofort, dann griff sie zum Mobiltelefon. Sie wusste, welche Taste man zum Einschalten drücken musste, erinnerte sich aber nicht an den Pincode. Eine ganze Weile drückte sie wahllos alle Tasten. Sie bezweifelte, dass sie genug Kraft hatte, zu den Nachbarn zu gehen. Irgendwo in der Nähe heulte ein Hund.
    Sie ging mit einer Taschenlampe hinaus in den Garten. Für die zwanzig Meter auf dem von Stachelbeersträuchern gesäumten Asphaltweg von der Haustreppe bis zur Hängematte brauchte sie zehn Minuten. Von der Plane über der Hängematte tropfte noch immer Wasser. Raïssa war so schwindlig, dass sie das Gleichgewicht verlor und sich reflexhaft an Olegs Schulter klammerte. Die Hängematte geriet ins Schaukeln, und Raïssa ließ die Taschenlampe ins hohe Gebüsch fallen. Sie ging sofort aus. Nun konnte Raïssa nur noch eines tun: Laut um Hilfe rufen. Doch darauf antworteten lediglich einige Hunde, deren Bellen in Heulen überging.Raïssa wurde das ganze entsetzliche Ausmaß ihrer Lage bewusst. Sie war vollkommen allein, sie hatte Herzschmerzen, ihr war schwindlig, und neben ihr lag der tote Oleg.
    »Geschieht ihm recht!«, flüsterte sie, mühsam die kalten Lippen bewegend. »Das ist der Preis! Ich habe immer gewusst, dass er eines Tages für Olga bezahlen muss!«
    Zum ersten Mal sprach Raïssa diesen Namen laut aus. Jahrelang hatte sie sich untersagt, daran zu denken, doch nun stand ihr plötzlich wieder vor Augen, was in dieser verhassten Familie vor fünfzehn Jahren geschehen war.
    Ein Jahr nach der Scheidung von Lena hatte Oleg wieder ein Mädchen ins Haus gebracht – Olga. Sie hatte üppige blonde Locken, runde hellblaue Augen, zartrote Wangen und eine leise Kinderstimme. Doch die älteren Solodkins verhielten sich, als gebe es keinen Unterschied zwischen der unverschämten, schlampigen Lena und der stillen Schönheit Olga. Galina wiederholte immer wieder mit zusammengekniffenen Augen – vor Verachtung oder wegen des Zigarettenrauchs: »Was verbindet unseren Jungen schon mit diesem Püppchen?«
    Diesmal gab es keine Hochzeit. Olga lebte einfach mit Oleg zusammen. Sie liebte ihn vollkommen selbstlos. Tagelang wusch und bügelte sie seine Sachen, räumte ihm alles hinterher und putzte unermüdlich ihr gemeinsames Zimmer. Raïssa atmete erleichtert auf – nun konnte sie sich ganz auf

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