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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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die Versorgung der älteren Solodkins konzentrieren und betrat Olegs Zimmer nicht einmal mehr. Im Haus gab es genug zu tun, die Solodkins empfingen oft wichtige Gäste – Staatsbeamte und Ausländer. Die Wohnung musste stets blitzen, und das Essen hatte auf dem Niveau der teuersten Restaurants zu sein.
    Als Raïssa erfuhr, dass Olga ein Kind erwartete, freute sie sich sehr. Das Mädchen schien wie geschaffen für die Mutterschaft. Allerdings war die Haushälterin die Einzige, die auf die Nachricht vom Familienzuwachs freudig reagierte.
    Eines Tages hörte Raïssa zufällig ein Gespräch der Hausherren mit an. Es war spät am Abend, sie hatte gerade nach einem Essen mit wichtigen Gästen aufgeräumt. Die Speisen waren besonders aufwendig gewesen – Pilzpasteten, gefüllte Avocado und als Dessert ein dreischichtiges Blancmanger. Am späten Abend war Raïssa so erschöpft, dass sie sich beim Anziehen im Flur auf den Hocker vorm Spiegel setzte, um vor dem Heimweg kurz zu verschnaufen. Die Küchentür stand einen Spalt offen, und von dort vernahm Raïssa die Stimme der Hausherrin.
    »Madam Kirjuschina hat übrigens den Bauch bemerkt.« Sie klang so entsetzt und schneidend, als hätte diese Kirjuschina, die Gattin eines der Gäste, nicht die Schwangerschaft von Olegs Freundin entdeckt, sondern etwas höchst Peinliches, Unanständiges.
    »Wie denn das?«, fragte Solodkin rasch und erschrocken. »Sie haben doch ihr Zimmer nicht verlassen.«
    »Sie ist selber zu ihnen rein. Du kennst doch die Kirjuschina, die muss in alles ihre Nase stecken. Sie wollte unbedingt Oleg sehen und seine Freundin kennenlernen. Ich konnte ihr das schließlich nicht verbieten.«
    »Hat sie außer dem Bauch sonst noch was bemerkt?«
    »Ich glaube nicht. Wie sollte sie darauf kommen …«
    Mein Gott, dachte Raïssa, wovon reden sie?
    »Kann man wirklich nichts dagegen machen?«, fragte Solodkin besorgt.
    »Zu spät. Sie ist schon im siebten Monat.«
    »Na gut, aber was ist mit einer künstlichen Frühgeburt? Ich könnte das arrangieren, niemand würde davon erfahren.«
    »Wir können sie doch nicht mit Gewalt ins Krankenhaus bringen.«
    Das ist es also, sie wollen keine Enkel, sie wollen Olga nicht in ihre elitäre Familie aufnehmen. Scheusale, dachte Raïssa empört, Unmenschen!
    »Und wenn wir noch mal mit Oleg reden? Er muss doch begreifen, was für eine Last das ist«, sagte Solodkin und seufzte schwer.
    »Mach dir keine Hoffnungen, Wassja. Er ist im Moment kaum imstande, irgendetwas zu begreifen.«
    »Übertreibst du da nicht? Ist es wirklich schon so schlimm?«
    »Schlimmer gehts nicht.«
    »Und du hältst einen glücklichen Ausgang wirklich für ausgeschlossen? Ich meine, das Kind …«
    »Das wäre schon ein großer Zufall. Ein fantastischer Glücksfall, die Chancen stehen eins zu tausend. Doch wir sollten nicht auf ein Wunder hoffen. Allerdings gibt es ja angeborene Krankheiten, mit denen ein Kind lebensunfähig ist.« Galina lachte sonderbar dumpf. »Das wäre das Beste für uns alle.«
    »Was redest du denn da«, rief Solodkin, »so etwas darf man nicht sagen.«
    »Natürlich nicht, Wassja.« Wieder das kurze, dumpfe Auflachen, dann klickte ein Feuerzeug, und es war lange still. Bis Solodkin heiser hustete.
    »Was sollen wir denn tun? Was denn, Galina? Uns einfach damit abfinden und abwarten?«
    »Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Darüber hätten wir uns früher Gedanken machen müssen. Mit Reden können wir beide jedenfalls nichts mehr ändern.«
    Am nächsten Morgen stieß Raïssa auf der Treppe mit Oleg zusammen. Er wollte zur Hochschule und hatte es eilig. Raïssa musterte ihn aufmerksam und stellte fest, dass er schmaler geworden war und seine Augen ungesund glänzten. Sie wartete, bis die Hausherren zur Arbeit gegangen waren, und warf einen vorsichtigen Blick in Olegs Zimmer. Olga schlief noch. Im Zimmer herrschte perfekte Ordnung, nur vor dem Bett stand ein leerer, innen ganz schwarzer Topf auf dem Fußboden. Raïssa wollte ihn mitnehmen und abwaschen, aber Olga wachte auf, sprang aus dem Bett, griffnach dem Topf und rief mit seltsam heiserer Stimme: »Was soll das?«
    »Schlaf weiter, Kind. Ich wasch ihn ab«, murmelte Raïssa verwirrt.
    »Nicht nötig! Das mach ich selber!«
    Später, in der Küche, erklärte sie Raïssa schuldbewusst, sie sei von klein auf gewohnt, ihre Sachen selbst aufzuräumen, und es sei ihr peinlich, bedient zu werden. Im Gegensatz zu den Solodkins erklärte sie stets alles, was sie tat, und

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