Das Haus der bösen Mädchen: Roman
abgeladen, also ich, Rjurik, Wassja Kulik und noch ein paar Kumpels. Rjurik hat also dein Auto nicht angerührt. Und überhaupt keiner von uns, kapiert? Echt mal! Such deinen Dieb woanders. Wir sind anständige Leute, wir verdienen uns unser Brot mit unserer Hände Arbeit.«
»Hat sich am Sonntag vielleicht irgendwer bei euch nach Rjurik und Simka erkundigt?«
»Warum willst du das wissen?« Der Alte starrte Teletschkin misstrauisch an. »Dein Auto hat keiner von uns angerührt, das sag ich dir hundert pro, echt mal. Ende der Durchsage.«
»Am Sonntagvormittag hat Simka hier eine Show veranstaltet, im Kiosk lief Musik, und sie hat dazu getanzt.« Teletschkin seufzte mutlos. »Und da trieb sich ein Kerl in Schwarz rum, mit Hakenkreuz und Totenschädeln.«
»Tuch aufm Kopf«, sagte die Frau abwesend, »schwarze Brille.«
»Mit solchen Punkfaschisten reden wir nicht, die hassen uns und wir sie«, blaffte der Alte. »Das sind doch Bestien, echt mal, die machen vor nichts halt. In Sokolniki, da haben letzten Sommer solche Kerle mit Totenschädeln, auf Motorrädern, in der Nacht Zigeuner umgebracht, nicht mal die Babys haben sie verschont, die Schweine!« Der Alte schrieso laut, dass viele Köpfe sich nach ihm umdrehten. Wieder meinte Kolja, die hellbraunen Augen zu sehen.
»Hör auf zu brüllen«, herrschte er den Alten an. »Wir sind hinter ihm her, klar? Er ist ein gefährlicher Krimineller, also mach schon, antworte auf meine Frage: Hat er mit euch gesprochen oder nicht?«
»Melde gehorsamst: nein!« brüllte der Alte, sich auf seine Armeezeit besinnend.
Inzwischen war das Gewitter vorbei, die Menge strömte wieder hinaus auf die Straße, mit ihr auch Teletschkin. Da nur eine der fünf Türen geöffnet war, entstand am Ausgang Gedränge.
Er hat gehört, wie sie über den Nachtjob redeten, sagte sich Teletschkin. Aber woher wusste er, dass Simka bei Rjurik wohnt? Hat er das auch gehört? Quatsch, er ist einfach hin, hat gesehen, dass sie allein ist, und sie getötet. Mach die Sache nicht unnötig kompliziert.
Wieder an der frischen Luft, überlegte Teletschkin, was er noch tun könnte, ob es Sinn hatte, noch einmal zu dem bewussten Haus zu gehen und mit den Nachbarn des unglückseligen Pärchens zu reden, oder ob er lieber nach Hause gehen und auf den Anruf von Borodin warten sollte.
Er stand am Fußgängerübergang. Offenbar war die Ampel kaputt, sie blieb ewig rot, und es sammelte sich eine beachtliche Menschenmenge. Unter den Rädern der Autos, die mit unverminderter Geschwindigkeit vorbeirauschten, spritzten Schmutzwasserfontänen hervor, und die Menge wich zurück. Endlich wurde Grün, und der Strom der Autos erstarb widerwillig, auch mitten auf dem Übergang. Die Fußgänger lavierten sich drängelnd und schubsend zwischen den Wagen durch. Jemand versetzte Teletschkin von hinten einen heftigen Stoß. Eine junge Frau mit einem kleinen Kind an der Hand lief dicht an ihm vorbei. Teletschkin fluchte, lief ein paar Schritte und verspürte plötzlich einen dumpfen Schmerz im Rücken. Beim nächsten Schritt wurde der Schmerz heftiger,und er bekam einen trockenen Mund. Durch einen schweren, zähen Nebel hindurch sah er, wie die Ampel auf Gelb schaltete. Die Autos hupten wie wild. Teletschkins Beine gaben nach, ihm wurde schwarz vor Augen, er wusste nicht, ob er noch laufen konnte, ob er das sichere Trottoir erreichen würde oder ob seine Bewegungen chaotisch und ins Nichts gerichtet waren. Lautes Bremsenkreischen explodierte in seinem Kopf, und dann blieb nur noch der Schmerz, so groß wie das ganze Universum.
Ljussja empfing Doktor Jewgenija Rudenko mit der schüchternen Frage: »Kommt Tante Lilja mich abholen?«
Die Ärztin setzte sich auf den Bettrand und strich dem Mädchen über das hellblonde, strähnige Haar.
»Ich muss mir die Haare waschen und sie mit Zwiebeln einreiben«, sagte Ljussja mit einem leisen Seufzen und nestelte am Saum ihres Lakens herum.
»Wie geht es dir?«
»Gut.«
»Tut dir der Bauch weh?«
»Ein bisschen. Was ist eine Fehlgeburt?«
Doktor Rudenko blickte einige Skunden schweigend in die hervorquellenden hellbraunen Augen – sie waren zu aufmerksam und zu traurig für ein geistig behindertes Kind. Sie ließ Ljussjas Frage unbeantwortet und legte ihr eine mit einer rosa Schleife umwickelte Schachtel Pralinen aufs Bett.
»Hier, das soll ich dir geben.«
Ljussja wurde rot, dann blass, Tränen stiegen ihr in die Augen, aber es kamen keine Worte, nur ein langgezogenes
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