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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Mama?«
    »Ich will nicht zu Mama Isa«, erwiderte das Mädchen lebhaft, »ich will nie wieder dorthin. Dort bekomme ich Spritzen. Und im Keller ist es unheimlich, da sind böse Ungeheuer. Sie haben der Puppe den Kopf abgerissen, ich habe geweint, und sie haben gelacht. Bitte rufen Sie Tante Lilja an, sie soll mich abholen.«
    »Bei Mama Isa im Keller wohnen Ungeheuer?«
    »Ja. Vampire, Hexen, Teufel und Tote. Ich hab Angst, ich will nicht dahin.«
    »Und wer hat der Puppe den Kopf abgerissen?«
    »Baka«, flüsterte Ljussja und presste sich erschrocken die Hand auf den Mund.
    »Wer ist das?«
    »Ein böser Geist, ein Wolfsmensch.«
    »Und warum hat er das getan?«
    »Er wollte jemanden töten.«
    »Wen?«
    »Das weiß ich nicht, die Puppe war der Mensch, den sie töten wollten. Das haben sie gespielt.«
    »Wer?«
    »Alle Kinder.«
    »Die Kinder bei Mama Isa?«
    »Nein! Ich will nicht zu Mama Isa!«
    Ljussja erstarrte plötzlich mit offenem Mund, blickte ein paar Sekunden an Jewgenija vorbei, und in ihren Augen stand Entsetzen, als sehe sie hinter der Ärztin etwas Grässliches.
    »Bitte erzählen Sie keinem von Loa«, flüsterte sie, und als sei mit diesem Flüstern die letzte Luft aus ihr gewichen, sank sie aufs Kissen, und ihr Gesicht wurde blass und gleichgültig.
    »Kennst du deinen Familiennamen, Ljussja?«
    »Ljussja Kolomejez, geboren 1985.«
    »Und wie heißt Mama Isa mit Familiennamen?«
    »Ich bin müde, ich schlafe gleich ein, ich bin ganz artig«, murmelte das Mädchen.
    »Mama Isa hat dich adoptiert und dir ihren Familiennamen gegeben« – Jewgenija nahm Ljussjas Hand –, »du musst ihn mir sagen, niemand wird dich dafür ausschimpfen.«
    »Ich bin Ljussja Kolomejez, ich will keinen anderen Namen, ich will nach Hause, rufen Sie Tante Lilja an …«
    »Gut. Wie heißt Ruslan weiter?«
    »Loa hat keinen Familiennamen. Er braucht keinen.«
    »Ist Mama Isa auch Loa?«
    »Ruslan ist Loa Baron Samadi, Mama Isa ist Loa Maman Brigitte.«
    »Sind sie Mann und Frau?«
    »Nein.«
    »Hat Mama Isa einen anderen Mann?«
    »Nicht mehr. Er ist gestorben.«
    »Wann?«
    »Letztes Jahr.«
    »Wie hieß er?«
    »Papa Wassili.«
    »Woran ist er denn gestorben?«
    »Er war lange krank. Er lag im Bett, er konnte sich nichtmehr bewegen und wollte immer nur essen. Und dann ist er gestorben. Ich will schlafen.«
    »Du kannst gleich schlafen. Sag mir nur noch: Erinnerst du dich an deine richtige Mama?«
    »Ja. Ich erinnere mich an Mama. Sie hat helle Locken, wie Tante Lilja.«
    »Sie ist gestorben. War das auch eine von Loas Prüfungen?«
    »Nein. Sie hat sich selbst getötet. Sie ist aus dem Fenster auf die Straße gesprungen.«
    »Hast du das gesehen, oder hat dir das jemand erzählt?«
    »Ich hab geschlafen, ich erinnere mich an nichts. Darf ich jetzt schlafen? Wecken Sie mich, wenn Tante Lilja kommt, ja?«
    Sie schlief augenblicklich ein. Jewgenija blieb noch eine Weile auf ihrem Bett sitzen, den Kopf tief gesenkt, und lauschte dem leisen, unruhigen Schnaufen des Mädchens.
    Das kann sie sich nicht alles ausgedacht haben. Sie spricht von Dingen, die sie kennt, die sie mit eigenen Augen gesehen hat. Anscheinend von einem Psychopathen, von einer ganzen Gruppe von Psychopathen, dachte Doktor Rudenko. Heutzutage gibt es ja die ungeheuerlichsten Sekten. Satanisten, Anhänger schwarzer Magie. Aber wie ist das Mädchen da hinein geraten? Bis jetzt hat sie stur wiederholt, sie hätte die Tante getötet. Nun sagt sie etwas ganz anderes. Wahrscheinlich die Wahrheit. Die Idee mit den Pralinen hat funktioniert.
    Schließlich verließ Jewgenija das Krankenzimmer, ging in ihr Büro, schloss die Tür und schrieb alles auf, bemüht, kein Wort auszulassen.
     
    Ein gepanzerter schwarzer Jeep jagte die Hauptstraße der Moskauer Vorstadt Lobnja entlang, alle anderen Autos drückten sich panisch an den Straßenrand, die Fußgänger wichen zurück und folgten dem schwarzen Wagen mit empörten und erschrockenen Blicken. An der Stadtgrenze sprang ein jungerVerkehrsposten auf die Chaussee, wurde aber rechtzeitig von seinem älteren Kollegen zurückgehalten.
    »Merk dir den Wagen und rühr ihn niemals an«, sagte der Ältere leise und düster zu dem Jüngeren.
    Indessen bog der Jeep auf einen Nebenweg ein, passierte einen malerischen Eichenwald, hinter dem eine Siedlung von Sommerhäusern verborgen lag, fuhr an einer hohen Mauer entlang, hielt vor einem eisernen Tor und hupte kurz. Mit schwerem Rasseln öffnete sich das Tor. Dahinter lagen ein von

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