Das Haus der Donna: Roman (German Edition)
Sie fragte sich, ob persönliche Gründe dahinterstanden. Sie hatte zwar nur wenig echte Freunde, aber auch nur wenig richtige Feinde. Dazu war sie niemandem je nahe genug gekommen.
Allerdings waren die Botschaften, die sie über ihr Fax erreichten, sehr persönlich.
Auch die Attacke ist persönlich gewesen, dachte sie. Sie sollte in Angst und Schrecken versetzt werden. Das Schweigen, der leichte Schnitt in die Kehle. War das die Routine des Angreifers gewesen, oder hatte er genaue Anweisungen bekommen, wie er sein Opfer in Panik versetzen konnte?
Es hatte sie einiges an Selbstvertrauen gekostet, zudem ihr Gefühl der Sicherheit und ganz gewiß ihre Würde. Und es hatte ihre Reise um fast eine Woche verzögert. Durch die Verzögerung hatte sie sich, noch bevor die Arbeit überhaupt angefangen hatte, mit ihrer Mutter zerstritten.
Schichten, dachte sie, klug angelegte Schichten, die den Kern umhüllten. Es hatte jedoch nicht mit dem Überfall, sondern
mit dem Diebstahl und der Fälschung des David begonnen.
Was war damals in ihrem Leben vorgegangen? Was verband das eine mit dem anderen?
Sie hatte an ihrer Doktorarbeit gearbeitet, erinnerte sie sich. Sie hatte ihre Zeit aufgeteilt zwischen dem Institut, ihren Seminaren und ihrer Dissertation. Ihr gesellschaftliches Leben, das noch nie reich an Ereignissen gewesen war, hatte damals praktisch überhaupt nicht stattgefunden.
Was war um sie herum passiert? Miranda hatte den Menschen um sich herum nie besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt.
Sie schloß die Augen und versuchte, sich auf die Zeitspanne und die Menschen, die sie damals umgaben, zu konzentrieren.
Elise und Andrew waren verheiratet gewesen und allem Anschein nach sehr ineinander verliebt. Sie konnte sich auf jeden Fall an keinen Streit erinnern. Andrew hatte bereits getrunken, aber sie hatte sich noch keine Sorgen um ihn gemacht.
Und sie hatte sich Mühe gegeben, ihm und Elise soviel Privatsphäre wie möglich zu lassen.
Giovanni und Lori hatten eine kurze, nette Affäre. Miranda hatte gewußt, daß sie miteinander schliefen, aber da es weder die Qualität noch die Menge ihrer Arbeit beeinträchtigte, hatte sie sich herausgehalten.
Ihre Mutter war kurz ins Institut gekommen. Für ein oder zwei Tage, erinnerte sich Miranda. Länger nicht. Sie hatten ein paar Konferenzen gehabt, es gab ein steifes Familiendinner, und dann hatten sich ihre Wege wieder getrennt.
Ihr Vater war so lange geblieben, bis die ersten Tests an der Skulptur durchgeführt worden waren. Er war nur bei einem Teil der Konferenzen dabeigewesen, und bei dem Familienessen hatte er sich unter einem fadenscheinigen Vorwand entschuldigt.
Statt ihres Vaters waren Vincente und seine Frau gekommen, aber selbst ihre lebhaften Persönlichkeiten hatten das Ereignis nicht fröhlicher gemacht. Wenn ihr Gedächtnis sie nicht trog, war Gina nur einmal im Labor aufgetaucht.
Richard Hawthorne hatte sie nur vage in Erinnerung, weil er ständig hinter Büchern oder seinem Computer vergraben gewesen war.
John Carter war die ganze Zeit über dagewesen, hatte die Projekte beaufsichtigt und über Berichten gebrütet. Miranda rieb sich die Schläfen, während sie versuchte, sich die Einzelheiten ins Gedächtnis zurückzurufen. War er nicht ein bißchen fahrig und nachlässig gewesen? Er hatte einen Anflug von Grippe gehabt, fiel ihr ein, hatte aber trotzdem weiter gearbeitet.
An welche außergewöhnlichen Dinge sollte sie sich auch erinnern? Ärgerlich ließ sie die Hände sinken. Es war Routine gewesen, einfach Routine, und ihre Arbeit die treibende Kraft. Alles andere wurde unwichtig, sobald sie die kleine reizende Statue in der Hand hielt.
Sie hatte den Erwerb des David als weiteren Schritt in ihrer Karriere angesehen, hatte seine Echtheitsüberprüfung als Grundlage für einen ihrer Aufsätze genommen. Die Sache hatte ihr in der akademischen und wissenschaftlichen Welt einiges an Aufmerksamkeit eingebracht. Sie war eingeladen worden, Vorträge darüber zu halten, und hatte ziemlich viel Anerkennung dafür erhalten.
Eigentlich war dies der wahre Beginn ihrer Karriere gewesen. Jene kleine Bronze hatte sie aus der Masse herausgehoben und sie an der Spitze der Branche etabliert.
Blicklos starrte Miranda auf ihren Bildschirm. In ihren Ohren rauschte es.
Die Fiesole-Bronze hätte sie endgültig ganz nach oben katapultiert. Damit wäre sie weltweit einer der Top-Archäometriker gewesen. In diesem Fall wäre sie nicht nur mit akademischem Lob
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