Das Haus der Donna: Roman (German Edition)
Vortag.
Falls sie beim ersten Schluck des heißen, starken Kaffees aufstöhnte, so konnte es niemand hören. Falls sie sich mit geschlossenen Augen und einem verträumten Lächeln in ihrem Stuhl zurücklehnte, so konnte es niemand sehen. Fünf Minuten lang erlaubte sie sich, nur zu genießen, nur eine Frau zu sein, die die kleinen Freuden des Lebens schätzte. Sie schlüpfte aus ihren Pumps, und ihr scharfgeschnittenes Gesicht entspannte sich. Fast hätte sie geschnurrt.
Dann stand sie auf, goß sich eine weitere Tasse Kaffee ein, zog ihren Laborkittel über und machte sich an die Arbeit.
Miranda testete noch einmal die Schmutzproben vom Fundort, maß die Strahlung und notierte die Ergebnisse. Noch einmal testete sie den Ton, der der Skulptur vorsichtig entnommen worden war. Sie gab eine Probe von beidem auf je einen Objektträger, dann legte sie die Bronze- und Patinasplitter, die sie von der Figur abgekratzt hatte, auf ein weiteres Glasplättchen, und betrachtete sie alle drei nacheinander unter dem Mikroskop.
Sie starrte gerade angestrengt auf den Monitor ihres Computers, als die Angestellten nach und nach eintrafen. Giovanni brachte ihr eine frische Tasse Kaffee und ein süßes Brötchen.
»Sag mir, was du siehst«, forderte sie ihn auf, während sie weiterhin auf den Bildschirm blickte.
»Ich sehe eine Frau, die sich nicht entspannen kann.« Er legte ihr die Hände auf die Schultern und rieb sie sanft. »Miranda, du bist jetzt seit einer Woche hier und hast dir noch keine Stunde Zeit für dich selbst genommen.«
»Was siehst du, Giovanni?«
»Ah.« Er massierte ihre Schultern weiter, schob aber seinen Kopf neben ihren, damit er auf den Bildschirm blicken konnte. »Den Hauptverfallsprozeß, Korrosion. Die weiße Linie dort zeigt die Originaloberfläche der Skulptur an, no?«
»Ja.«
»Die Korrosion ist dick auf der Oberfläche, und unten geht sie tief ins Metall, was typisch für eine vierhundert Jahre alte Bronze wäre.«
»Wir müssen genau bestimmen, um wieviel sie dicker wird.«
»Das ist nicht leicht«, entgegnete er. »Die Figur hat in einem feuchten Keller gelegen. Da ist die Korrosion bestimmt schnell vonstatten gegangen.«
»Das beziehe ich mit ein.« Miranda nahm ihre Brille ab und rieb sich die Druckstelle auf dem Nasenrücken. »Die Temperatur und die Feuchtigkeit. Wir können den Durchschnitt berechnen. Ich habe noch nie erlebt, daß solche Korrosionslevel
nachgemacht worden sind. Sie sind wirklich da, Giovanni, sie sind in ihr drin.«
»Der Stoff ist nicht mehr als hundert Jahre alt. Wahrscheinlich sogar zehn bis zwanzig Jahre weniger.«
»Hundert?« Irritiert sah Miranda ihn an. »Bist du sicher?«
»Ja. Du kannst es selbst testen, aber du wirst sehen, daß ich recht habe. Achtzig bis hundert Jahre. Nicht mehr.«
Sie wandte sich wieder dem Computer zu. Ihre Augen sahen, was sie sahen, und ihr Kopf weißtet, was er wußte. »In Ordnung. Dann müssen wir also annehmen, daß die Skulptur seit achtzig bis hundert Jahren in Stoff eingewickelt in diesem Keller lag. Aber alle Tests beweisen, daß die Bronze selbst sehr viel älter ist.«
»Vielleicht. Hier, iß dein Frühstück!«
»Mmh.« Geistesabwesend biß sie in das Brötchen. »Vor achtzig Jahren – zu Anfang dieses Jahrhunderts. Der Erste Weltkrieg. In Kiegszeiten werden Wertgegenstände häufig versteckt.«
»Ganz genau.«
»Aber wo war sie vorher? Warum habe ich noch nie von ihr gehört? Sie war auch versteckt, als Piero Medici aus der Stadt vertrieben wurde«, murmelte sie. »Während der italienischen Kriege vielleicht ebenfalls. Versteckt, ja, das könnte möglich sein. Aber vergessen?« Unzufrieden schüttelte sie den Kopf. »Das ist nicht das Werk eines Amateurs, Giovanni.« Sie gab dem Computer den Befehl, das Bild auszudrucken. »Das ist das Werk eines Meisters. Irgendwo muß es eine Niederschrift geben. Ich muß mehr über diese Villa, mehr über die Frau wissen. Wem hat sie ihren Besitz hinterlassen, wer wohnte in der Villa, nachdem sie gestorben war? Hatte sie Kinder?«
»Ich bin Chemiker«, sagte er lächelnd, »kein Historiker. Danach solltest du Richard fragen.«
»Ist er schon da?«
»Er ist immer pünktlich. Warte.« Leise lachend ergriff Giovanni sie am Arm, bevor sie weglaufen konnte. »Komm heute abend mit mir zum Essen.«
»Giovannis.« Liebevoll drückte Miranda seine Hand und wand sich aus seinem Griff. »Es ist nett von dir, daß du dir
Sorgen um mich machst, aber mir geht es gut. Ich habe zuviel
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