Das Haus der Donna: Roman (German Edition)
engstirnige Gedankenwelt. Die Medicis herrschten über Florenz, und der inkompetente Piero l’Infortunato trug für eine kurze Zeit die Krone, bis ihn König Karl VIII. von Frankreich aus der Stadt jagte.
Der frühe Ruhm der Renaissance war gerade dabei, zu verblassen, als der Architekt Brunelleschi, der Bildhauer Donatello und der Maler Masaccio Form und Funktion der Kunst revolutionierten.
Aus ihnen entstand die nächste Generation in der Dämmerung des sechzehnten Jahrhunderts – Leonardo, Michelangelo und Raffael, Nonkonformisten, die nach reiner Originalität strebten.
Sie kannte den Künstler. Tief in ihrem Innern, in ihrem Herzen kannte sie ihn. Alles, was er geschaffen hatte, hatte sie so intensiv und genau studiert, wie eine Frau das Gesicht ihres Liebhabers studiert.
Aber im Labor haben Gefühle nichts zu suchen, ermahnte sie sich, und auch die Instinkte nicht. Sie würde alle Tests noch einmal durchführen. Und noch ein drittes Mal. Sie würde die bekannten Formeln für Skulpturen aus dieser Zeit miteinander vergleichen und jeden Bestandteil, jede Legierung wieder und wieder überprüfen. Sie würde Richard Hawthorne wegen schriftlicher Dokumente drängen.
Und sie würde die Antworten finden.
3
Der Sonnenaufgang über den Dächern und Kuppeln von Florenz war ein großartiger Augenblick. Kunst und Pracht in einem. Das gleiche zarte Licht hatte über der Stadt gelegen, als Männer die großartigen Kuppeln und Türme entworfen und gebaut hatten, sie mit Marmor aus den Hügeln verkleidet und mit den Bildern von Heiligen und Göttern geschmückt hatten.
Langsam verblaßten die Sterne, und der samtschwarze Himmel wurde perlgrau. Die Silhouetten der langen, schlanken Pinien am Fuß der toskanischen Hügel flimmerten, während das Licht stärker wurde und schließlich erstrahlte.
Während die Sonne aufging und die Luft mit ihrem Gold erfüllte, war die Stadt so still wie ganz selten. Dann wurde das eiserne Gitter am Zeitungsstand rasselnd hochgezogen, und der Besitzer bereitete sich gähnend auf den Arbeitstag vor. Nur wenige Fenster der Stadt waren erleuchtet, und eins davon war Mirandas.
Sie zog sich rasch an, ohne auf das prachtvolle Schauspiel vor dem Fenster ihres Hotelzimmers zu achten. In Gedanken war sie schon bei der Arbeit.
Welche Fortschritte würde sie heute machen? Um wieviel würde sie der Antwort näherkommen? Sie arbeitete mit Fakten, und bei diesen Fakten würde sie auch verharren, ganz gleich wie verführerisch es wäre, auf die nächste Ebene zu springen. Instinkten konnte man nicht immer trauen, der Wissenschaft jedoch schon.
Sie band ihre Haare zurück und schlüpfte in ein Paar niedrige Pumps, die zu ihrem einfachen, marineblauen Kostüm paßten.
Wenn sie so früh ins Labor ging, würde sie ein paar Stunden lang ungestört allein arbeiten können. Obwohl sie es schätzte, Experten zur Seite zu haben, war die Dunkle Lady schon ganz die ihre geworden. Jeder Schritt des Projekts sollte ihren Stempel tragen.
Sie hielt dem verschlafen blickenden Wachmann hinter der Glastür ihren Ausweis hin. Zögernd verließ er sein Frühstück und schlurfte zur Tür, um einen mißtrauischen Blick auf die Karte und ihr Gesicht zu werfen. Seufzend schloß er dann die Tür auf.
»Sie sind sehr früh dran, Dottoressa Jones.«
»Ich habe zu tun.«
Nach Meinung des Wachmanns hatten die Amerikaner anscheinend sowieso nichts anderes im Kopf. »Sie müssen sich in das Besucherbuch eintragen.«
»Natürlich.« Als Miranda an die Rezeption trat, stieg ihr der Duft seines Kaffees in die Nase. Rasch kritzelte sie ihren Namen und die Ankunftszeit in das Buch.
»Grazie.«
»Prego«, murmelte sie und ging zum Aufzug. Sie würde sich jetzt auch erst einmal Kaffee kochen. Schließlich konnte sie keinen klaren Gedanken fassen, bevor sie nicht zumindest ein bißchen Koffein zu sich genommen hatte.
Mit ihrer Schlüsselkarte verschaffte sie sich Zugang zum richtigen Stockwerk, und als sie in dem Sicherheitsbereich vor dem Labor stand, gab sie ihren Code ein. Drinnen schaltete sie die Neonbeleuchtung an und blickte sich rasch um. Alles war in Ordnung und aufgeräumt.
Mutter erwartet das auch, dachte sie. Sie toleriert bei ihren Angestellten nur Ordnung und Effizienz. Bei ihren Kindern ebenfalls. Miranda zuckte mit den Schultern, als wolle sie den lästigen Gedanken abstreifen.
Innerhalb weniger Minuten hatte sie sich Kaffee gekocht, ihren Computer eingeschaltet und überflog nun noch einmal ihre Notizen vom
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