Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
beschäftigt war, wurde ich den Eindruck nicht los, dass eine lauernde Gegenwart uns aus den Schatten heraus beobachtete. Das Dunkel dort hinten war zu geballt, zu dicht, um normal zu sein; es war ein verschlungenes Knäuel, das in rascher, verstohlener Bewegung zu sein schien – wie eine riesige schwarze Spinne, die vor dem Drahtglaseinsatz der Hintertür hin und her kletterte und ihre zahlreichen Beine einmal dahin, einmal dorthin ausstreckte.
Alec brauchte ziemlich lange, um es bis in den ersten Stock zu schaffen, aber schließlich waren wir oben und er schloss seine Türe auf. Wiederum schien ein halbes Dutzend ätherischer Wesen blitzschnell unter dem Sofa und hinter den Bilderrahmen zu verschwinden, als wir eintraten. Ihr Davonhuschen hatte etwas Spielerisches an sich, etwas, das mich an Disneys „Fantasia“ erinnerte.
Der obere Teil des Gebäudes badete in einer heiteren Ruhe. Alecs Wohnzimmer mit seinen wertvollen Stilmöbeln atmete eine so wohlige Atmosphäre, dass mir der Schrecken im Erdgeschoss gleich viel weniger entnervend erschien. Das Erkerfenster stand offen und gab den Blick auf die vielen dämmrigen Gärten der Larabaya-Straße frei, auf deren Baumkronen die letzten Sonnenstrahlen verblassten. In dem Raum roch es noch ein wenig nach Lack und frischer Tünche, aber da die Möbel und Accessoires, die Alec mitgebracht hatte, sämtlich seit langem in Gebrauch waren, verlor sich das Gefühl, im Ausstellungsraum eines Möbelhauses zu sitzen. Die kostbare antike Parlaments-Uhr tickte gemessen vor sich hin.
Wir setzten uns und tranken unseren Cognac – ziemlich viel davon, muss ich gestehen. Alec hatte das Entsetzen des Erlebnisses so hart gezüchtigt, dass er geradezu demütig bat: „Erzähl mir, was ihr gestern Abend noch geredet habt.“
Ich gab ihm das Gespräch wieder.
„Und jetzt, Mylady, sag mir deine Meinung dazu.“
Ich vermied taktvoll jeden Hinweis darauf, dass ich mich Robert Junkarts‘ Ansichten anschloss. „Du weißt, dass ich sensitiv bin; es ist nicht das erste Mal in meinem Leben, dass ich Manifestationen begegne. Ich hatte von Anfang an den Eindruck, dass dieses Haus anders ist als gewöhnliche Häuser. Dass es viel lebendiger ist. Es hat Erinnerungen – das sind die Hologramme, die man hier herumhuschen sieht –, es hat eine Persönlichkeit und es hat einen Willen. Warum das so ist, weiß ich auch nicht. Vielleicht steht es in einer Zwielichtzone.“
Alec runzelte die Stirn. „Ich bin kein Connaisseur des Übernatürlichen wie du, Charmion. Was ist eine Zwielichtzone?“
„Das, was die Iren ‚the Edge‘ nennen – eine Stelle, wo unsere Welt und die Anderwelt zusammenstoßen. In Irland und Schottland hat man Häuser oft absichtlich so gebaut, dass sie aus unserer Realität in eine andere hineinragen. Das könnte hier auch der Fall sein – aber das ist jetzt nur Spekulation. Jedenfalls ist unser Haus einem Menschen sehr ähnlich. Warum auch nicht? Die Psychoanalyse weiß, dass ein Haus im Traum einen Menschen bedeutet. Und wie ein Mensch hat es seine erfreulichen Erinnerungen und Charakterzüge, aber auch negative – solche wie Ricky Kossack und Schwester Magda. Und da es ein Unglückshaus ist, hat es besonders viele solche bösen und traumatischen Erinnerungen. Ich glaube, es versucht sich von ihnen zu befreien, sie loszuwerden. Es weiß, dass ein Fluch auf ihm lastet, und will ihn abschütteln.“
„Wie kommst du auf einen Fluch?“
„Darüber wird geredet, seit das Haus steht. Allerdings weiß anscheinend niemand mehr, wer es verflucht hat und warum, nur soviel ist bekannt, dass es ein Unglückshaus werden sollte. Aber unser Haus hat Charakter genug, dass es nicht länger ‚das Totenhaus‘ sein will – und hat uns zu Hilfe gerufen.“
Ich hatte mich so in Eifer geredet, dass ich nahe an ihn heranrückte und die Hand auf seinen Arm legte. Er griff zu und zog mich an sich, bis mein Kopf an seiner Schulter lag. Ich bediente mich an einem Schluck Cognac, obwohl ich bereits merkte, dass ich nicht mehr ganz nüchtern war. Ein stärkerer Charakter als ich hätte diese Prüfung wohl auch ohne Cognac durchgestanden, aber ich war froh, eine psychische Schutzschicht aus Alkoholnebel um mich zu haben. In dem Maß, in dem mein Alkoholspiegel stieg, erschien mir das Monster im Keller harmloser und vor allem weiter entfernt. Zuletzt hatte ich das Gefühl, dass es irgendwo am Ende eines finsteren Labyrinths aus kilometerlangen Fluren hauste, die sich zwischen ihm und
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