Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
Gehstock wie ein Piratenkapitän seinen Säbel und schrie: „Es ist feige! Los, los, alle zusammen!“
Wir konnten von Glück reden, dass das Totenhaus einsam zwischen einem unbebauten Grundstück und einem leer stehenden Haus stand, sonst hätten wir sämtliche Nachbarn aufgeschreckt, als wir alle zusammen loslegten. Ich weiß nicht mehr, was wir im Einzelnen brüllten, ob es Flüche waren oder Kriegsgeschrei oder Gebete, jedenfalls lärmten wir, was das Zeug hielt, und rückten Schulter an Schulter gegen den bösartig wabernden Schemen vor. Wir schüttelten die Fäuste und schrien und machten archaische Drohgebärden, und so grotesk es klingen mag: Dieses Ding aus einer anderen Sphäre hatte keine Lust, sich mit sechs wütenden, lärmenden Menschen anzulegen! Es zog sich feige zurück, waberte und zitterte wie ein Bild in einem krummen Spiegel und bombardierte uns mit seiner Bosheit. Vergeblich. Wir waren in Zorn geraten, und Zorn war kein guter Nährboden für die kalte, geile, perverse Lust, die das Wesen ausströmte.
Damals, in dieser verrückten Nacht, lernte ich, wie dünn die Schichte der Zivilisation ist, die die Instinkte und Ängste des Menschen bedeckt. Als wären wir gerade der Bronzezeit entsprungen, klammerten wir uns an zwei urmenschliche Waffen: Lärm und Feuer. Wir stampften brüllend durch den Flur, drehten jede Lampe an, die wir finden konnten, schalteten sämtliche Radios und CD-Player ein, bis eine rasende Kakophonie durch das Haus tobte. Der Rattenkönig nahm das alles nicht unwidersprochen hin. Kaum hatten wir eine Lampe eingeschaltet, so warf er den dunklen Schleier darüber, der schon zu Anfang das Licht im Hause getrübt hatte, und brüllten wir, so antwortete uns ein Fauchen und Zischen und die süßen, giftigen Klänge jener verderblichen Musik. Es half ihm jedoch nichts. Wir waren jetzt nicht mehr in der Stimmung, uns zu fürchten. Wir waren zornig und kampfbereit (und alle nicht mehr ganz nüchtern, nachdem wir uns wiederholt aus Alecs Flasche gestärkt hatten). Jede Manifestation, die uns erschrecken sollten, beantworteten wir mit einem Gejohle wie betrunkene Hooligans. Wir warteten förmlich darauf, dass irgendwo ein Schatten auftauchte, damit wir einander an den Schultern fassen und losbrüllen konnten. Sobald sich ein Spuk zeigte, legten wir einer die Arme um die Schultern des anderen, stampften rhythmisch und brüllten sinnloses Zeug. Für jeden von uns war etwas anderes Ausdruck seines oder ihres Kampfeswillens. Ich verstand in dem allgemeinen Tohuwabohu nicht, was die anderen schrien und sangen, aber mein Kriegsgeschrei war eine wirre Mischung aus Gebeten und den Klängen von „The Soldier‘s Song“, der irischen Nationalhymne, die für mich immer das Nonplusultra an Kampfeswillen dargestellt hatte. Es war ein so schönes, so melodisches Lied, und doch so voll Zorn und Energie. Ich konnte nicht einmal singen – ich war generell so unmusikalisch wie ein Schwein – aber ich kannte den gesamten Text, und so stand ich mitten im Flur, klatschte im Takt (oder so) in die Hände und sang mit meiner lauten, rauen Stimme, immer einen Ton zu tief oder einen Ton zu hoch, aber voll Inbrunst:
We sing a song, a soldiers song
With cheery, rousing chorus..
Auch Coco sang – etwas, das sich nach einem populären Schlager anhörte und zweifellos aus dem Nachtcafé stammte, in dem sie als Kellnerin beschäftigt war. Die Männer brüllten wie die Stiere. Elena, deren fadendünnes Stimmchen wohl nicht viel zu der allgemeinen Kakophonie beigetragen hätte, hatte einen Topf und einen Schneebesen aus der Küche mitgenommen und lärmte auf dieser improvisierten Trommel.
Robert Junkarts lachte; er warf immer wieder den Kopf in den Nacken und röhrte wie ein Hirsch, obwohl es überhaupt nichts zu lachen gab. Ich hatte den Eindruck, dass etwas in ihm aufgeplatzt war, irgendeine tiefinnere Schicht, die vielleicht zu seiner lang vergangenen Jugend gehörte. Jedenfalls war er der Einzige von uns, den es nach einer körperlichen Konfrontation mit dem Ungeheuer gelüstete. Die Schultern vorgebeugt, den Hals weit vorgestreckt, näherte er sich jedem vorüberhuschenden Schatten mit ausgestreckten Armen, winkte ihn mit beiden Händen zu sich her, wich tänzelnd zurück, lachte und höhnte und schrie: „Hier! Hier bin ich! Komm und hol mich! Was ist los mit dir, hast du Angst vor mir? Komm komm komm! Hierher!“ Wie wir alle hatte er jeden Gedanken über Bord geworfen, ob sein Benehmen närrisch oder
Weitere Kostenlose Bücher