Das Haus der glücklichen Alten
sich an der Grenze allen ausländischen Bösewichtern wehrhaft entgegenreckte. So haben wir geheiratet. Wir waren beseelt von Elan und Hingabe an die Zukunft eines Landes, das Stolz und Mut gewann. Als die Kinder damals lernten: Holla ho, holla hi, ich und du, und er und sie, alle Männer, alle Frauen, hoch der Altar immerdar, Portugals Pimpfe und Portugals Mädel, hoch lebe Salazar, hoch lebe Salazar, alle fanden, so lernt man richtig, und in der Schule betete man, damit Gott und die Muttergottes mit dem ganzen Gefolge von Heiligen stets über den Köpfen einer gottesfürchtigen und wohlerzogenen Volksgemeinschaft schwebten. So ertrug man mit störrischer Geduld die Armut, weil wir alle stark waren, wahrhaftig, wie stark unser Volk war, als es diese unfreie Zeit durchlebte, die nie zu enden schien, die wir aber auch noch nicht in Frage zu stellen vermochten. Es gab Wohlanständigkeit, mit ein paar Massakern vermischt, ja gewiss doch, aber es war eine Wohlanständigkeit voller Zuversicht und Optimismus, der allen Gehorsam und Achtung vor der Gemeinschaft einflößte, weil wir Pflichten hatten vor der Gesellschaft und überzeugt waren von der Idee des Opfers, vom Glauben, dass uns das Opfer läutern würde, dass Reinheit möglich war. Wir würden alle von Kopf bis Fuß würdig sein, ein Ehrenwort war für uns noch ein Ehrenwort, was für eine sonderbare Sache das war mit dem Ehrenwort, man kam irgendwohin und sagte mit todernster Miene, bei diesem Versprechen geht es um unsere Ehre, und alle erschauerten, denn man bekundete das Heiligste, was es gab. Niemand zweifelte an dieser Wahrheit, und noch weniger machte man sich darüber lustig.
Hoch lebe Salazar, hoch lebe Salazar, unbefleckte Maria, Maienmond, Lilien- und Rosenmond, Mariä Mond, Mariä Herz, gib uns deine Liebe, heilige Maria.
Laura und ich, wir dachten zuerst, nichts könnte uns etwas anhaben. Wir dachten, wir könnten uns im gesellschaftlichen Räderwerk anstrengen und nützlich machen, mit einem Dach über dem Kopf, wo unsere Kinder mit unserem stolzen portugiesischen Namen geboren würden. Wir glaubten zuerst, selbst von der Kirche ginge eine ruhige und natürliche Güte aus. Darum näherten wir uns mehr dem religiösen Leben und bemühten uns zu glauben, dass die Spekulation mit den Seelen und die Unwahrscheinlichkeit des Unsichtbaren nur dazu dienten, uns einer besseren Menschheit entgegenzuführen, dort würde man die schlimmen Irrtümer, die schuld waren an unannehmbaren Grausamkeiten, ausrotten. Ich besuchte die Sonntagsmessen mit Laura, und wir hatten große Hoffnungen bei dem Gedanken, dass es besser sei, ein Leben zu zweit so zu beginnen, mit dem Segen der Kirche, und all die Gläubigen um uns herum hatten den Anschein, als wären sie bereit, uns aus Nächstenliebe zu helfen, mit einem Ausdruck im Gesicht wie von Menschen, die uns lieb hatten und uns in unserem Elend beistehen würden, und darum hatten wir sie auch lieb.
Danach erlebte ich das ganze Gegenteil davon. Religiös sein heißt, dass man feige wird im Kopf. Dass man Angst vor dem bekommt, was man nicht sieht, dass man sich vor der Dunkelheit fürchtet, weil die menschenfressende Bestie auf der Lauer liegen kann, um uns an den Haaren zu ziehen. Auf Gott warten ist so, wie auf Peter Pan warten, und er soll mit der Fee Glöckchen kommen, in ihrem Minirock, der für unschuldige Kinder so unangemessen sexy war. Das menschliche Wesen besteht nur aus Fleisch und Knochen und dem ungeheuren Willen, die Dinge komplizierter zu machen, als sie ohnehin schon sind. Ich lernte, wie sich die Gläubigen mit unglaublich vielen Vorurteilen und Stigmatisierungen gegenseitig das Fell über die Ohren zogen. Und an dem Tag, als wir unser erstes Kind verloren, erfuhr ich, dass wir allein waren auf der Welt. Auf dem Fußboden eines Zimmers, ohne jede Hilfe. Ich ging noch zum Pater und bat ihn, uns ins Krankenhaus zu bringen, er solle sich beeilen, weil die Fruchtblase geplatzt sei und Laura sich nicht rühre. In dieser Gegend gibt es keine Autos, sagte ich zu ihm, das ist ein armes Viertel, hier hat keiner so ein Ding. Wie geht es ihr denn, kümmert sich denn keine Hebamme um sie? Sie verblutet, Pater, Laura verblutet an unserem Kind. Der Mann sagte ein paarmal, dass alles nach Gottes Willen geschehe, womit er mir sagen wollte, alles wird gut. Ich solle mir deshalb keine Sorgen machen. Dann ging er fort, mit zwei alten Frauen, an ein Auto war überhaupt nicht zu denken. Unser Kind lag schon in Lauras Schoß,
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