Das Haus der glücklichen Alten
Freund sei. Schwierige Frage, denn fast im selben Moment kam es aus mir rausgeschossen, das sei der europäische Silva, ein Schwachkopf von sprechendem Papagei. Aber Senhor Pereira wollte es genauer wissen, noch so jung, und kommt hier so jung noch ins Haus, um die weißen Wände anzustarren. Sie trauen sich wirklich was, Senhor Cristiano. Nennen Sie mich bitte Silva, sagte der. Das geht nicht, Silva ist schon der hier. Der Blödmann quengelte, aber uns kann doch keiner den Namen wegnehmen, Senhor Pereira, wirklich nicht, ich bin auch ein Silva, und es hat keinen Sinn, dass man mir einen anderen Namen gibt. Da lächelte Senhor Pereira so fröhlich, wie er immer zu sein schien, und verteidigte sich, kein Mensch will Ihnen Ihren Namen wegnehmen, lieber Freund, aber wir wollen Sie unterscheiden, und das könnte kompliziert werden, wo ich es doch gewohnt bin, das Leben zu vereinfachen. Und um bei der Wahrheit zu bleiben, verrate ich Ihnen noch, ich bin auch ein Silva, Álvaro Silva Pereira, nur damit Sie nicht meinen, Sie hätten etwas, was ich nicht habe, wie den Verstand zum Beispiel. Eine Sekunde lang blieben wir ruhig sitzen, nur eine Sekunde. Andere neue Gesichter kamen vorbei, zusammen mit Doktor Bernardo, der ihnen Erklärungen gab. Sie wurden uns nicht vorgestellt. Der europäische Silva sorgte für Unterhaltung, indem er zum Thema zurückkehrte, dem Faschismus. Nachbar Silva, er steckt noch in uns, es ist sehr schwer, die Erziehung, die wir als Kinder erhalten haben, aus dem Kopf rauszukriegen. Wir können alle riesengroße Intelligenzbolzen sein, grandios ausgebildete, unabhängig denkende Erwachsene, aber die Erziehung, die wir als Kind erhalten haben, prägt uns fürs ganze Leben, und die faschistischen Ticks kommen, kaum zu merken, immer wieder zum Vorschein. Ohne dass wir dessen gewahr werden. Senhor Pereira unterbrach ihn und sagte, Senhor Cristiano, statt hier über Gott und die Welt zu palavern, sollten sie sich lieber entspannen, Mensch, entspannen Sie sich. Ich stand auf und ging mir eine Jacke holen. Der Nachmittag hatte sich merklich abgekühlt, und ich war schon immer recht temperaturempfindlich gewesen. Reißen Sie mir nicht aus, rief mir der Europäer hinterher, und nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich grad auch mal von mir rede, aber keine Angst, ich bin ja viel jünger als Sie. An der Tür, als ich aus dem Hof in den Saal trat, traf ich auf einen Menschen mit großen, lichterfüllten Augen. Wir standen voreinander, und er sagte, guten Tag, Senhor, gestatten, Anísio Franco. Ich werde hier wohnen. Ohne zu antworten, blickte ich an ihm vorbei. Ich hatte die Nase gestrichen voll von Neulingen. Innerlich schäumte ich, er sollte zum Teufel gehen, dieser Anísio Franco mit dem Licht in den Augen.
Aber Anísio Franco stellte sich bald als die große Neuerwerbung der glücklichen Alten heraus. Er war zweiundachtzig, hatte irgendwie eine Panikattacke erlitten, und als man die Röntgenaufnahmen auswertete, entdeckte man ein paar Probleme mit dem Herzen. Da meinten die Ärzte, er dürfe sich nicht aufregen und dürfe nicht weiter so arbeiten wie ein Besessener. Am nächsten Nachmittag saßen wir alle an derselben Stelle wie immer zusammen, und ich war voller Achtung vor diesem Mann. Aus ihm sprach eine Begeisterungsfähigkeit, wie sie hier niemand sonst noch hatte. Er war von dem Glauben erfüllt, dass ihn die Gesundheit nicht im Stich lassen würde, und hegte noch viele Pläne. Ich staunte nur, weil ich nicht begriff, wie man in diesem Alter noch Pläne haben konnte. Ich hatte nur einen: alles zu vergessen, gegen Lauras Tod zu protestieren und mich davon zu überzeugen, dass nach dem Tod eines geliebten Menschen wenigstens auch die Erinnerung an die Liebe verschwinden sollte. Er schüttelte den Kopf und lächelte. Ganz und gar nicht, Senhor Silva, ganz und gar nicht, was mich am Leben erhält, ist einzig der Wille, Neues zu erfahren, und dieses Wissen für die anderen niederzuschreiben. In Büchern zu hinterlassen, was man entdeckt hat, weil ein Buch ein Schatz für die Ewigkeit sein kann. Ich nickte, ja, das verstand ich. Bücher gingen auch mir über alles, ich hatte mein Leben lang gelesen. Der Mann da war so quicklebendig und dürstete nach mehr Leben, weil ihm noch ein paar Seiten, ich weiß nicht, wie viele, an einem Buch über geschichtliche Ereignisse in Portugal fehlten, das den anderen zu hinterlassen für ihn ein großes Glück wäre. Sie wissen ja, dass die Welt ganz anders aussehen
Weitere Kostenlose Bücher