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Das Haus der glücklichen Alten

Das Haus der glücklichen Alten

Titel: Das Haus der glücklichen Alten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valter Hugo Mae
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ist schwer zu verführen. Wir lächelten. Elisa hatte schon vor langer Zeit ein paar Worte mit dem europäischen Silva gewechselt, und sie fragte ihn gern nach mir und setzte sich für mich ein, wie es Eltern bei den Lehrerinnen ihrer Kinder tun. Senhor Cristiano, Sie müssen öfter herkommen, Sie müssen eine Möglichkeit finden, dass er nicht den Kopf von Mariechen mit verrückten Ideen vollstopft. Der europäische Silva war so viel jünger als die meisten Heiminsassen, dass er noch ein Angestellter sein könnte, jemand, der sich hier drinnen nützlich machte, und nach Elisas Vorstellung war es ein Glück, dass er sich mir aus Freundschaft angeschlossen hatte, weil ich auf ihn zählen könnte. Ich dachte daran, dass er jünger war, jetzt war er wohl siebenundsechzig. Er war ein junger Bursche, der sich noch an jedem Ort und in jeder Situation zurechtfinden konnte. Hier zu sein zeugte beinahe von Masochismus, jedenfalls von entschieden schlechtem Geschmack. Er sagte ein paar Worte zu Elisa, ich hörte zu, bis ich ihn fragte, sind Sie noch nie auf den Gedanken gekommen, dass es für Sie vielleicht doch ziemlich grausam werden kann, wenn Sie hier Jahr um Jahr bleiben und uns einen nach dem anderen sterben sehen und andere kommen werden, die Sie wahrscheinlich auch vor Ihnen sterben sehen? Wie viele können Sie noch sterben sehen? Eine Minute lang antwortete er nicht. Dann sagte er, Freund Silva, Sie vergessen, dass ich mein ganzes Leben im Krankenhaus gearbeitet habe, ich habe schon alle Möglichkeiten gesehen, wie jemand sterben kann. Ich weiß, dass Menschen sterben, teurer Freund, ich weiß, was das heißt. Ich bat ihn um Entschuldigung für die unhöfliche Frage. Entschuldigen Sie, es war keine gute Idee von mir, Sie mit diesen Gedanken zu behelligen. Es war keine gute Idee, Sie an meiner Art zu denken teilhaben zu lassen, wo ich doch wirklich schon alt bin. Mein teurer Freund ist jung, er hat mehr Widerstandskraft und muss sie haben. Ich bitte Sie um Verzeihung. Aber es war ihm nicht wichtig. Er trat näher heran und sagte, wissen Sie, was tatsächlich eine Maschine war, um den Menschen die Metaphysik zu rauben? Er fragte, hielt inne und schaute uns erwartungsvoll an, als erhoffte er eine Erklärung. Diese widerliche Diktatur. Die Diktatur wollte uns alle aushöhlen, ohne dass uns innerlich noch etwas blieb, wir sollten nur noch rein mechanisch eine Aufgabe erfüllen und die Fresse halten. Die Diktatur, Freund Silva, die Diktatur war wirklich eine schreckliche Maschine, um den Menschen die Metaphysik zu rauben. Elisa und ich lachten.
    Zu dieser Zeit war Américo schon mein Komplize bei der Geschichte mit den Briefen an Dona Marta. Da ich mich immer häufiger wegen meiner Beinschmerzen kaum rühren konnte und in Weltuntergangsstimmung war, musste ich ihn für die Sache gewinnen und bitten, für mich zur Post zu gehen und eine Briefmarke aufzukleben, den Rest würde dann der Postbote schon überzeugend erledigen. Senhor Silva, Sie überraschen mich immer wieder, sagte er zu mir, als ich ihn zum ersten Mal darum bat. Sie laufen immer mit einer Miene herum, als würden Sie gleich zubeißen, und dann leisten Sie solche Samariterdienste wie die Heilige Jungfrau von Fátima höchstselbst. Er wusste, wenn er auch nur ein schlechtes Wort über Mariechen sagte, würde er es gehörig mit mir zu tun kriegen. Ich bat ihn inständig, kein Wort davon Doktor Bernardo zu erzählen. Das würde für zu viel Aufregung um meine Person sorgen, und der Direktor würde es womöglich noch irgendwann sattkriegen mit mir und mich zu Hackfleisch machen. Ich beichtete ihm, wenn ich diese Briefe schriebe, komme es mir vor, als schriebe ich über mich selbst, diese Briefe handelten von mir und hälfen mir beim Nachdenken. Sie hälfen mir, etwas zum Ausdruck zu bringen, was sich anders vermutlich gar nicht sagen ließe. Und manchmal ging es tatsächlich nicht. Aber auf der Suche nach einer Möglichkeit, unserem Herzen Luft zu machen, gab es Woche für Woche immer wieder ein Wort oder einen Satz, der dem näher kam, was wir sagen wollten und was wir schließlich auch fühlten. Er kam in meinem Zimmer vorbei, um mir Bescheid zu sagen, dass wieder ein Brief angekommen war. Der Postbote war da gewesen, und die Sache war erledigt. An diesem frühen Nachmittag war ich, wie seit Wochen, in meinem Zimmer geblieben. Auf einmal aber bekam ich Lust, Dona Marta beim Lesen dessen, was ich ihr geschrieben hatte, zuzusehen. Im Nu war ich auf den Beinen und

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