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Das Haus der glücklichen Alten

Das Haus der glücklichen Alten

Titel: Das Haus der glücklichen Alten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valter Hugo Mae
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wahrnehmen, wählen gehen, sich beteiligen, entscheiden, was man entscheiden kann. Da kam Dona Leopoldina an uns vorbeigetippelt, und dieses eine Mal blieb sie still und machte keinerlei schweinische Handbewegung. Wir lachten trotzdem. Der soziale Abstieg und unser anspruchsloses Heim bewirkten bei allen eine große Leichtfertigkeit, als hätte zu guter Letzt nichts mehr wirklich Gewicht auf der Waagschale. Was haben Sie der Frau gegeben?, fragte Anísio. Ich habe ihr gesagt, dass sie ungehobelte Manieren hat, antwortete Senhor Pereira. Sie hat sich mit dem Spanier angelegt und hat ein paar böse Worte von ihm einstecken müssen. Sie war ganz geknickt und hat geweint, sie ist so grob im Umgang mit Menschen. Sie hat wirklich ungehobelte Manieren.
    Kurze Zeit und ein paar Spritzen später hatte sich Spanier Enrique beruhigt. Er ist von roher Kraft und hat sich wie ein ganzer Mann gewehrt, sagte Senhor Pereira. Uns standen noch die Haare zu Berge wegen der Predigt an diesem Nachmittag, und wir glaubten, das Spielchen, den Portugiesen aus Badajoz auszuspionieren, würde uns die nötige Abwechslung bringen. Aber es kam nicht so. Tatsächlich waren wir eine Bande von senilen Alten, denn als wir die Zimmertür öffneten, nachdem wir Américo und den zwei Krankenschwestern der Nachmittagsschicht mit allen möglichen Tricks entwischt waren, sahen wir in Senhor Medeiros’ Fischaugen und fanden in ihnen jene Verzweiflung wieder, unter der auch Esteves gelitten hatte. Beim Eintreten ins Zimmer war uns, als öffneten wir Esteves’ Sarg. Das Gefühl war allzu lebendig. Allzu heftig peinigte uns das qualvolle Empfinden, von dieser letzten Form der Einsamkeit nichts zu verstehen.
    In der Nacht dann, als ich größere Ruhe und sogar einen Sieg über meine Ängste erhoffte, kamen meine Albträume wieder. Meine Albträume. Abermals glaubte ich, schwarze Vögel über den Kindern kreisen zu sehen, die nach mir suchten, um meinen Körper zu zerhacken. Ich wollte fliehen, und wieder fühlte ich mich nur als Blick, der unklar zwischen den Dingen schweifte, ohne dass ich wusste, wie ich feste Gestalt annehmen könnte. Ich träumte, wie ich fliehen wollte, wie ich vor dem Hunger dieser grauenhaften Tiere zu retten suchte, was von mir übrig blieb, meine Seele vielleicht, die am Ende existieren würde, nackt, einzige Erinnerung an mein früheres Wesen. Und ich träumte, dass das Haus der glücklichen Alten in Brand geriet und dass sich der Rauch mit meiner Seele vermengte, sie zerstreute und nötigte, zum Himmelreich oder zur Hölle zu fahren. Ich träumte, nachdem die Seele ihren Körper abgelegt hätte, würde sie mir von demselben Rauch geraubt, der vor Monaten den drei bettlägerigen Alten den Tod gebracht hatte. Dann träumte ich von Senhor Pereira, der schrie, fliehen Sie, fliehen Sie, Senhor Silva, ich habe Sie gewarnt, lieber Freund! Ich wollte fliehen, doch ich fühlte nur noch, wie mich der Rauch in die tiefsten Niederungen mitriss, wo der Wind wehte, bis er zum Dachfirst emporstieg und dem freien Himmel, dem ganzen nachtschwarzen Himmel ausgesetzt war, und ich stieg auf, als stürzte ich in einen Abgrund. Was für ein fürchterlicher Taumel, wenn man den Körper verliert und den großen Räumen preisgegeben ist, ohne Schwerkraft, ohne irgendetwas.
    Doktor Bernardo wollte unbedingt, dass ich mich nicht wieder in meinem Zimmer einsperrte. Das Schlimmste ist schon vorüber, sagte er. Es ist nur natürlich, wenn Sie um Senhor Esteves trauern. Ich verstehe, Sie hatten ihn sehr gern, aber Sie haben das Schlimmste schon hinter sich und müssen aktiv bleiben, hinausgehen und wie immer die Sonne genießen. Sie dürfen sich nicht den Depressionen hingeben, Senhor Silva. Wir gewinnen nichts damit, wenn wir uns den Depressionen hingeben. Einzig gut für uns ist es, einen wachen Verstand zu bewahren, dann haben wir es leichter damit. Ich fragte, womit?, was ist das, Herr Doktor, was ist das?
    Es dauerte nicht lange, und Senhor Pereira und der europäische Silva wussten ebenfalls Bescheid über Dona Martas Briefe. Wenig später wussten alle, dass ich es war, der die Briefe an Dona Marta geschrieben hatte. Die einen und anderen schwiegen darüber und taten, als hielten sie treu zu mir, damit sie keiner beschuldigte, neidisch oder für das Unglück der Frau verantwortlich zu sein, doch wie ich schon vermutete, wusste auch Dona Marta selbst, dass jemand anders und nicht dieses Schwein von angetrautem Ehemann ihr die Briefe schrieb. Américo sprach

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