Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
später hatte sie die Antwort: Rusty Brown hatte die Serie abgezeichnet.
»O mein Gott«, flüsterte sie. Der Tee war giftig. Was hatte er noch alles verseucht? Wie hatte er nur damit durchkommen können?
Sie starrte auf den Bildschirm und versuchte zu begreifen, wie diese Katastrophe überhaupt möglich gewesen war. Irgend etwas nagte an ihr, etwas, dem sie bisher ausgewichen war, weil ihr die Kraft dazu fehlte. Jetzt aber, die Finger auf der Tastatur, versuchte sie herauszufinden, was sie so beunruhigt hatte.
Auf dem Überwachungsmonitor tauchte Agent Knight auf. Er trug einen Regenmantel und war auf dem Weg zu dem unauffälligen Kleinbus, mit dem sein Team gekommen war.
Es war etwas, das Jonathan über Knight gesagt hatte.
Es war ihr sofort merkwürdig erschienen, aber sie hatte es erst einmal verdrängt, weil es soviel anderes zu überlegen gab. Jetzt gab sie ihm Raum, öffnete ihr Gehirn, ließ es hinein.
»Knight hat gesagt, Brown hege einen persönlichen Groll gegen Pharmaziefirmen. Der Grund läge in seiner Vergangenheit begründet. Bei seinem letzten Job hat man ihn verhaftet. Man hätte ihn beinahe verurteilt, aber er hatte einen guten Anwalt.«
Ja, das war es. Harmony Biotec hatte strenge Einstellungskriterien, zu denen auch die sorgfältige Prüfung der Vergangenheit eines Bewerbers gehörte. Wie konnte ein Mann wie Brown überhaupt eingestellt werden?
Hastig rief sie das Personalverzeichnis auf und öffnete Rusty Browns Akte. Sie enthielt seinen Lebenslauf, Geburtsdatum und -ort, bisherige Tätigkeiten. Nichts über eine Verhaftung. Er war vor sechs Monaten eingestellt worden, am Tag nach der Beerdigung ihrer Großmutter.
Der plötzliche Ton des Postalarms ließ sie zusammenzucken. Noch bevor sie auf »Neue Post lesen« klickte, wußte sie, was sie erwartete.
»Sag die Pressekonferenz nicht ab, Charlotte.
Sie haben Rusty Brown erwischt, aber nicht mich.
Er war nicht der, den Du suchst.
Tu, was ich sage, oder Tausende werden sterben …«
»O mein Gott«, murmelte Charlotte mit aufgerissenen Augen.
»Und mit Deinem miesen Engländer fange ich an.«
Sie überzeugte sich, daß das Museum abgeschlossen war, und rannte durch den Regen zurück ins Hauptgebäude. Statt des Fahrstuhls nahm sie die Nottreppe. Im zweiten Stock öffnete sie die Tür und spähte hinaus. Der Korridor lag verlassen, aber als sie vorsichtig auf den großen Empfangsbereich zuschlich, hörte sie Stimmen.
Sie bog um die Ecke. Mr. Sung und Margo sprachen mit einem der Bundesagenten. Adrian war aus seinem Büro zu vernehmen, wie er in ein Telefon brüllte. Desmond war nirgends zu erblicken.
Es gelang ihr, ungesehen in ihr Büro zu kommen. Sie schnappte ihre Tasche und die Autoschlüssel und floh lautlos über den teppichbelegten Gang, die Treppe hinunter und hinaus in den Regen. Gleich darauf saß sie am Steuer der Corvette und raste mit quietschenden Reifen vom Parkplatz.
Der Regen machte sie blind. Obwohl sie die Scheibenwischer auf Höchstgeschwindigkeit gestellt hatte, konnte sie kaum die Straße erkennen. Sie beugte sich vor und versuchte sich zu orientieren. Welche Straße hatte er genommen – Palm Canyon Road oder die Landstraße? Sie mußte ihn einholen, bevor er das verschlungene Autobahnnetz von Los Angeles erreicht hatte, denn dort würde sie ihn niemals mehr finden.
Sie entschied sich für die Landstraße und fuhr, so schnell es auf der vom Regen schlüpfrigen Wüstenpiste eben möglich war. Sie folgte den Schildern nach Los Angeles und nahm die Auffahrt nach Westen. Es herrschte so gut wie kein Verkehr. Nur ab und zu zogen Scheinwerfer vorbei. Vor ihr waren keine roten Rücklichter zu sehen.
Auf diesem Abschnitt, der hauptsächlich durch Sanddünen führte, war die Landstraße kaum beleuchtet. Nur manchmal unterbrachen Reklametafeln die Schwärze des Regens: Motel-Werbung, Hinweise für das Joshua-Tree-National-Denkmal und die Painted Hills, Aufforderungen, im Morongo-Indianerreservat Bingo zu spielen.
Wie weit konnte er sein? Er hatte fünfzehn Minuten Vorsprung gehabt, und sie wußte, daß Jonathan nicht langsam fuhr.
Als sie an der Abfahrt San Gorgonio vorbeikam, sah sie zufällig auf die Benzinuhr und erschrak. Der Tank war fast leer.
Ein paar Meilen vor ihr lag die Stadt Banning und dahinter eine Gegend, die man die »Badlands« nannte, weil durch sie eine gefährliche, kurvenreiche Straße führte, berüchtigt wegen der tödlichen Unfälle, die sich dort ereignet hatten. Dort gab es weder
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