Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
Gesicht. »Nein«, sagte er und ließ sie nicht aus den Augen, »du hast das Restaurant verlassen, bevor wir unser Gespräch beenden konnten.«
Das ist nicht fair, wollte sie schreien. Du hast das Thema gewechselt.
Jonathan fuhr fort, seine Sachen einzusammeln und in der Reisetasche zu verstauen. »Als ich aufhörte, kam Quentin mit, und wir beschlossen, uns gemeinsam selbständig zu machen. Quentin mag London, und ich hatte schon eine Wohnung dort, also gingen wir nach London.«
Und nach London mußt du jetzt wieder zurück …
»Quentin ist mein bester Freund.« Er knöpfte die Weste zu und fuhr in die Anzugjacke. »Meinetwegen hat er eine tadellose Karriere bei der National Security Agency aufgegeben. Ich war sein Trauzeuge. Ich bin der Pate seiner Tochter. Quent ist fast wie ein Bruder für mich.«
»Und darum hast du dich nun doch entschieden abzureisen, obwohl du noch vor ein paar Minuten gesagt hast, du würdest bleiben?«
Er sah auf seine Uhr. »Ich bin auf den Drei-Uhr-Nachtflug gebucht. Ich müßte es schaffen.« Aus der Tasche seines Regenmantels zog er den Autoschlüssel mit einem Alpha-Rents-Leihwagen -Anhänger.
Charlotte hatte sich eine Tasse Tee gemacht, vorsichtig das Folienpäckchen aufgerissen, den Teebeutel herausgenommen und ihn in heißes Wasser getaucht, auf und ab und auf und ab, um die Hände beschäftigt zu halten, hatte den aufgeweichten Beutel herausgehoben, ins Spülbecken gelegt und zugeschaut, wie der restliche Tee in den Aluminiumabfluß tröpfelte.
»Nein«, sagte Jonathan und beantwortete damit endlich ihre Frage. »Ich gehe nicht wegen Quentin. Ich habe mich dazu entschlossen, weil du recht hast. Wir können weder zurück noch vorwärts. Wir haben uns schon vor Jahren und bei vielen Gelegenheiten Lebewohl gesagt. Man kann kein Leben auf Abschieden aufbauen.«
Das war nicht der wahre Grund. Ihm war klargeworden, daß er Charlotte verlassen mußte. Quentins Anruf hatte es ihm ins Gedächtnis zurückgerufen. Besser gesagt, der Anruf hatte ihn an die Amsterdamer Acht erinnert … und an seine Alpträume. Wenn er bei Charlotte blieb, würde der Tag kommen, an dem er ihr sagen mußte, was damals geschehen war. Und er konnte ihr Leben nicht mit diesem Grauen belasten.
Schweigend beobachtete Charlotte das dunkle Funkeln in seinen braunen Augen und die angespannten Halsmuskeln. Johnnys Gefühle, die versuchten, hervorzubrechen.
Er trat ganz nahe an sie heran. Als er einen Finger unter ihr Kinn legte, erlaubte sie ihm, ihr Gesicht zu seinem zu heben. Selbst wenn sie gewollt hätte, sie hätte nicht zurückweichen können. Sein magnetischer Blick bannte sie. »Ich werde immer an dich denken, Charlie«, murmelte er, küßte sie sacht auf die Wange und ließ sie los.
Er nahm den Regenmantel, warf ihn über die Schulter, griff nach der schwarzen Tasche und verließ Büro und Museum. Leise fiel die Eingangstür hinter ihm ins Schloß. Charlotte stand da und starrte auf die geschlossene Tür, ratlos und verwirrt. Sie erwartete, daß sich die Tür plötzlich wieder öffnen und Jonathan hereinkommen würde, um zu sagen, er habe es nicht so gemeint, er werde doch bleiben. Als die Tür geschlossen blieb, ging Charlotte zum Überwachungsmonitor und sah Jonathan mutig durch den Regen stapfen, einen Mann, aus dessen Gang Entschlossenheit und Zielstrebigkeit sprachen. Er drehte sich nicht um. Als er sein Auto erreicht hatte, stieg er sofort ein, ließ den Motor an und fuhr los.
Was war nur geschehen? Eben noch hatte er darauf bestanden, hierbleiben zu wollen, und nun packte er seine Sachen und verschwand. War es wirklich das Telefongespräch mit Quentin, das seine Meinung geändert hatte, diese dringende Sitzung, die für seine Firma eine so entscheidende Bedeutung hatte? Oder lag der Grund beim zweiten Anruf, dem Gespräch mit seiner Frau, das er in Charlottes Abwesenheit geführt hatte?
Das Schluchzen, das in ihrer Kehle saß wie damals in der Nebelnacht, als Onkel Gideon starb, brach sich endlich Bahn. Sie preßte die Finger an die Augen, lehnte sich gegen die Theke der Küchenecke und wehrte sich nicht mehr. Tränen strömten über ihr Gesicht, und die Meereswoge des Schmerzes riß sie fort wie eine riesige Flutwelle.
Ein Bild ging ihr nicht aus dem Sinn.
Während Jonathan im Gewächshaus seine Pistole ausgegraben hatte, war Charlotte hier gewesen und hatte auf seinen Computer gestarrt. Plötzlich war das Videogespräch aus London gekommen und ein Gesicht auf dem Bildschirm
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