Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
Ordnung?«
Sie blinzelte.
»Du hast schlecht geträumt.«
Charlotte richtete sich auf und rieb sich die Augen. Sie hatte sich auf die Couch im Büro ihrer Großmutter gelegt, um ein kleines Nickerchen zu machen. Sie sah auf die Uhr. Sie hatte eine Stunde geschlafen.
»Das muß ja ein toller Traum gewesen sein«, meinte er.
»Ja … ein seltsamer Traum.« Sie sah zu ihm auf. Das dunkelbraune Haar fiel ihm unordentlich in die Stirn, und er war unrasiert. Aber seine Augen zeigten keine Müdigkeit.
»Ich habe etwas herausgefunden.« Er roch nach Regen. War er draußen gewesen? »Unser Täter ist hinter etwas her, und ich glaube, ich weiß, was es ist.«
Charlotte setzte sich auf und wartete einen Augenblick, das Gesicht in den Händen. Ihr Kopf war immer noch ausgefüllt von diesem Traum, den durcheinanderwirbelnden Bildern, die keinen Sinn ergaben: Ihre Mutter, die sie nie gekannt hatte, saß mit ihr in der Laube auf dem Dach und sagte: »Es war der Tee, Charlotte, der Tee.« Mr. Sung drehte unaufhörlich ein Rätselkästchen in den Händen. Ihre Großmutter wandte das Gesicht von einer Artischocke ab, die Charlotte gerade zum Abendessen gedünstet hatte.
Der kurze Schlaf hatte sie nicht erfrischt. Sie fühlte sich sogar noch müder als vorher. Die Erinnerungen verfolgten sie, lasteten auf ihr wie Blei.
Sie stand auf und ging in die Küchenecke, wo sie den Hahn aufdrehte und sich Wasser ins Gesicht spritzte, bis der Traum sich auflöste und die Gesichter und Stimmen allmählich verschwanden. Als sie sich das Gesicht abtrocknete, waren die Bilder, die sie so aufgewühlt hatten, verflogen.
Jonathan saß schon wieder am Laptop. Während sie schlief, hatte er weitergearbeitet. »Hast du etwas rausgefunden?«
»Ich bin die Dateien durchgegangen, die ich kopiert hatte. Dabei habe ich in dem Verzeichnis, in dem ihr eure hochempfindlichen Geheimrezepturen speichert, etwas sehr Interessantes entdeckt. Schau hier.«
Er klopfte auf den Bildschirm.
Charlotte beugte sich über ihn. »Man hat sie kopiert?«
»Unser Eindringling scheint nicht zu wissen, daß euer System es automatisch aufzeichnet, wenn jemand Dateien öffnet und kopiert. Und dann hier – sieh dir Uhrzeit und Datum dieser Öffnungen an.«
»Der ganze heutige Abend!«
»Ist es zu fassen? Der Mistkerl hüpft seit zwölf Stunden durchs System und kopiert eine Datei nach der anderen. Nach jeder einzelnen Kopie verläßt er das System wieder, damit man ihn nicht erwischt. Aber das hier ist das Entscheidende, Charlotte, sein bisher letzter Zugriff.«
Sie sah, worauf er deutete. »Er hat die Rezeptur kopiert, nachdem Knight alle Terminals vom Verteiler abgeschaltet hat.«
»Und das bedeutet, daß es irgendwo ein geheimes Modem gibt.«
»Kannst du es lokalisieren?«
»Ich denke schon. Die Suche ist bereits eingeleitet.« Er stand auf und ging hinüber zu den Blaupausen des Werksgeländes, die noch immer ausgebreitet auf dem Schreibtisch lagen. »Ein Weg, in ein System einzudringen, besteht darin, die Rückwahl eines Modems auszuschalten. Wäre jedoch eines eurer Modems auf diese Art beschädigt worden, hätte das System es aufgezeichnet. Das war nicht der Fall. Darum wissen wir, daß es ein verstecktes Modem geben muß, das jemand mit dem Netzwerk verknüpft und auf automatische Antwort gestellt hat.«
»Und wie sollen wir das finden?«
»Ich habe in meinen Computer einen sogenannten Kampfwähler installiert.« Er zog mit der Fingerspitze eine Linie nach. »Hast du zufällig den Film ›War Games‹ gesehen? Ein Kampfwähler ist ein Programm, das Hunderte von Nummern anwählt, bis es ein Modem findet, mit dem eine Verbindung möglich ist. Während du schliefst, habe ich die Parameter der Telefonnummern in dieser Gegend eingegeben. Das Programm wird so lange weiterwählen, bis es auf dem Werksgelände ein aktives Modem findet. Ich habe es auf meinen Piepser geschaltet, damit ich Nachricht bekomme, wenn der Wähler etwas entdeckt.«
Sie beobachtete ihn, während er die Pläne studierte. Seine zusammengezogenen Brauen bildeten eine tiefe, senkrechte Falte, als er auf Linien, Bogen und Vierecke blickte und sich so intensiv darauf konzentrierte, als öffne er ein chinesisches Rätselkästchen. So hatte er auch ausgesehen, als er nach dem Gespräch mit seinem Partner aufgelegt und erklärt hatte, etwas stimme nicht mit Quentin. Mit der gleichen Furche im Gesicht hatte er die Lage überdacht und seine Entscheidung getroffen, während Charlotte versucht
Weitere Kostenlose Bücher