Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
glaubte ihm.
Während ich es Mrs. Fong überließ, den jungen Mr. Sung durch das Werk zu führen, ging ich ins Büro zurück, wo ein bedrückender Papierberg auf mich wartete, außerdem Angebotslisten und Nachrichten von den wenigen Immobilienmaklern, die bereit waren, einer Chinesin bei der Wohnungssuche zu helfen. Ich trat ein und sah Gideon vor mir stehen. In seiner Uniform war er so unwiderstehlich, daß mir vor Freude das Herz zerspringen wollte.
Ich nahm ihn in die Arme und er mich in seine, und wir hielten einander lange umschlungen, ohne ein Wort zu sprechen. Unsere Herzen sagten alles, was nötig war.
Als er sich endlich von mir löste, sagte er: »Meine Mutter ist gestorben.«
Ich hatte es nicht gewußt.
»Morgen findet die Testamentseröffnung statt. Mr. Winterborn sagt, daß du im Testament erwähnt bist. Ich denke, Mutter wird dir Vaters Ring hinterlassen haben.«
Am Nachmittag darauf fuhr ich zu der großen Villa auf dem Hügel. Ich nahm Iris mit, so daß wir zu sechst im Herrenzimmer saßen, das jetzt halb viktorianisch, halb modern eingerichtet war: meine Tochter und ich, Gideon, Olivia und ihr Sohn Adrian, dazu Margo, deren Rückkehr zu ihrer Familie sich offenbar durch die Beerdigung verzögert hatte.
Ich hatte Mühe, Iris still zu halten. Sie wirkte erregt. Vielleicht erinnerte sie sich, daß sie vor Wochen schon einmal in diesem Haus gewesen war. Als sie die Hand ausstreckte und nach einer Vase greifen wollte, fauchte Olivia: »Faß das nicht an!«
Olivias Groll über meine Anwesenheit war so massiv wie der schwere Stuhl unter mir. Sie gab sich keine Mühe, ihre Abneigung zu verbergen. Seit vierzehn Jahren lebte sie in diesem Haus, ihr Sohn war hier geboren. Nun war sie endlich die Herrin und wollte mich nicht in ihrem Haus sehen.
Wie von Gideon vermutet, hinterließ Fiona mir Richard Barclays Ring. Und sie vererbte mir das Haus und alles, was darin war.
Am Abend, bevor Gideon von Land ging, um in den Pazifik zu fahren, wo ein entsetzlicher Krieg tobte, kam er zu mir und sagte: »Olivia und die Kinder werden schnellstens ausziehen. Du kannst das Haus jederzeit übernehmen.«
»Es ist groß genug für uns alle.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht in einem Haus mit dir wohnen, Harmonie. Das wäre mehr, als ich ertragen könnte. Außerdem würde Olivia niemals einwilligen. Sie wollte das Testament anfechten, aber ich habe es ihr untersagt. Das Haus gehört rechtmäßig dir.«
»Aber auch dir«, protestierte ich.
»Nein. Es war das Eigentum von Richard Barclay, und du bist sein Fleisch und Blut.« Er lächelte traurig. »Irgendwie liegt eine gewisse Ironie darin. Wir nennen uns Barclay und haben keinen Tropfen Barclay-Blut in den Adern, während ihr, Harmonie und Iris, Lee heißt und die einzigen echten Barclays seid.«
Wir fanden uns alle am Hafen ein, um von ihm Abschied zu nehmen, zusammen mit den anderen Ehefrauen, Müttern und Familien, und alle hatten wir tränennasse Wangen. Jede hatte nur einen Gedanken: Gott, bring ihn mir heil und gesund wieder.
Ich sah zu, wie Gideon Olivia umarmte und küßte. Dann umarmte er den dreizehnjährigen Adrian und sogar die gleichaltrige Margo, die impulsiv die Arme um seinen Hals schlang und ihn auf die Wange küßte. Danach nahm er meine Hand und sah mir lange in die Augen, eine stumme Versicherung seiner Liebe. Er wollte das gleiche bei Iris tun, aber sie bewegte ständig den Kopf und schaute in alle Richtungen.
Ich dachte daran, wie meine Tochter an jenem Tag in Fionas Schlafzimmer ein paar Minuten lang die Augen ruhig gehalten und sich konzentriert hatte. Ich kann nur vermuten, was in Fionas Herz vorging, als sie sah, wie meine Tochter so rasch das Rätselkästchen öffnete.
»Obwohl ich von Anfang an den Verdacht hegte, Sie könnten Richards Kind sein«, hatte sie in dem Brief geschrieben, den mir Mr. Winterborn nach der Testamentseröffnung überreichte, »war ich nie sicher. Als ich aber Ihre Tochter sah, erkannte ich die Wahrheit. Richards Schwester war wie Iris. Die Anlage wird in der Familie vererbt. Sie sind also wirklich Richard Barclays Tochter. Und weil ich ihn von ganzem Herzen geliebt habe, verspreche ich Ihnen, daß alles, was Ihr Vater besaß – Haus, Name, Vermögen –, Ihnen gehören soll. Und ich bitte Sie und Gott um Vergebung für die Art, wie ich Sie behandelt habe.«
Als Gideons Schiff endlich aus der Bucht hinaussteuerte, kam Olivia zu mir und sagte: »Mein Sohn, Margo und ich ziehen noch heute
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