Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
und Beruf meines Vaters. Weil meine Mutter das alles nicht wußte, hatte sie es mit Hilfe von Reverend Peterson erfunden.
Als die Gefängniswärter von Angel Island keinen Richard Smith finden konnten, der in der Powell Street wohnte und als Buchhalter arbeitete, erklärte ich, daß mein Vater Singapur vor sechzehn Jahren verlassen hätte und der Kontakt abgerissen wäre. Vielleicht ist er in New York, sagte ich, oder in New Hampshire oder New Orleans. Diese Namen wählte ich, weil das »neu« darin Glück verhieß. Am Ende ließen sie mich einreisen, weil meine Papiere vom US-Konsul in Singapur abgestempelt waren. Nicht einmal die Teufel von Angel Island konnten das außer acht lassen.
So setzte ich schließlich den Fuß in die Stadt, in der mein Vater wohnte, und ich schäme mich zu sagen, daß ich voller Freude war. Meine Mutter war tot, und ich war nicht bei ihr gewesen, um sie zu begraben und um sie zu trauern. Mit Reverend Peterson hatte ich vereinbart, daß er sich um sie kümmern würde, wenn sie starb. Ich ließ ihm eine Menge Geistergeld zurück, das er bei der Trauerfeier verbrennen konnte, und bat ihn, die besten Klageweiber der Stadt zu mieten. Obwohl meine Mutter lebte, als ich sie zum Abschied küßte und an Bord ging, sah ich die Wolken des Todes auf ihrem Gesicht.
Auf der Fahrt über den Pazifik hatte ich um sie getrauert, auf einem überfüllten Schiff, wo Frauen fieberhaft Angaben auswendig lernten, die sie bei der Befragung brauchen würden, und dann die Blätter über Bord warfen, bevor die Beamten sie sehen konnten. Ich suchte jeden Tag den Horizont ab und fragte mich, ob sie heute gestorben war, allein und ausgestoßen. Während das Schiff ostwärts segelte, schaute ich nach Westen und dachte an meine Mutter, an unser gemeinsames Leben, an alles, was sie mich gelehrt hatte. Doch als ich endlich amerikanischen Boden betrat, richtete ich den Blick nach Osten, meinem neuen Anfang entgegen.
Reverend Peterson hatte mir von Chinatown erzählt und mir gesagt, daß ich mir dort eine Unterkunft suchen sollte. »Bemüh dich nicht um ein Zimmer in einem anderen Viertel«, ermahnte er mich. »Sie vermieten nicht an Chinesen.«
Damals waren seine Worte für mich wie Federn im Wind. Amerika war das Land der Gleichheit. Ich konnte überall wohnen.
Trotzdem suchte ich mir ein Zimmer in Chinatown, denn ich wollte unter Menschen leben, die mir vertraut waren. Während ich mich umsah, dachte ich daran, daß mein ganzes bisheriges Leben eine Geschichte der Heimatlosigkeit gewesen war. Meine Mutter und ich waren ständig umgezogen, und sie hatte mir dabei von dem großen Haus in der Pfauengasse erzählt, in dem sie aufgewachsen war und wo Generationen unserer Familie geboren worden waren, gelebt hatten und starben. Ich wünschte mir sehnsüchtig, in einem solchen Haus zu wohnen. Wenn ich meinen Vater fand, dachte ich, würde er mich vielleicht einladen, zu ihm zu ziehen. Ich stellte mir eine große Villa auf einem der Hügel von San Francisco vor, von der aus man das Wasser und den Himmel sehen konnte. Dort würde ich den Rest meines Daseins verbringen.
Ich erfuhr, daß vor achtzehn Jahren ganz Chinatown nach einem großen Erdbeben abgebrannt war. Jemand, dessen Vorstellungen von chinesischer Architektur alles andere als chinesisch waren, hatte es wieder aufgebaut. Die Bewohner allerdings waren echte Chinesen. In diesen wenigen Straßenzügen drängten sich Menschen aus Kanton und Peking und aus sämtlichen Provinzen, und ihre vielen verschiedenen Dialekte wehten im Wind wie Neujahrsbänder. Ich bekam große Augen beim Anblick der Läden, in denen gegrillte Enten im Fenster hingen und reichgefüllte Körbe mit Zwiebeln, Auberginen und Orangen die Käufer anlockten. Für die Hungrigen gab es Teehäuser und Straßenküchen, die Sesamkuchen, gedämpfte Klöße und Hühnerbrötchen anboten. Ich roch bekannte Gerüche, sah eine vertraute Umgebung, hörte heimatliche Laute. Ich hatte angenommen, Amerika sei ein seltsamer und fremder Ort, an dem ich großes Heimweh haben würde. Aber auf den Bürgersteigen kamen mir Menschen entgegen, die mein Lächeln lächelten und mich mit meinen Augen ansahen. Wir kamen aus ganz Asien, wir »Himmlischen«, wie die Amerikaner uns nannten – manche bezeichneten uns auch als »Gelbe Gefahr« –, aber wir waren eine einzige, große Familie, die Kultur, Götter und Nudeln miteinander teilte.
Ich wußte, hier würde ich glücklich sein.
Während ich mit meinem Koffer, einem
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