Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
anders.« Sie öffnete eine Schublade, schaute hinein, schloß sie und öffnete die nächste.
»Charlotte … er war ein enger Freund deiner Großmutter, Könnte es vielleicht mehr gewesen sein?«
Sie hob die Brauen. »Du meinst, ob er ihr Geliebter war? Das glaube ich nicht. Immerhin war sie zehn Jahre älter als Mr. Sung.« Außerdem, hätte sie am liebsten hinzugefügt, haben die Frauen meiner Familie bekanntlich immer Pech in der Liebe – meine Urgroßmutter, deren schöner Amerikaner nie zurückkehrte. Meine Großmutter, die sich in ihren Halbbruder verliebte. Meine Mutter, verwitwet, ehe ich noch auf der Welt war. Und ich selbst, verzweifelt verliebt in einen Jungen, der in meinem Leben nur eine kurze Gastrolle spielen wollte.
»Keine Gabeln.« Sie zog die letzte Schublade auf und förderte ein Paar Eßstäbchen zutage. »Geht das?«
»Ich denke schon«, entgegnete er mit einem Blick voller schmerzlicher Erinnerungen. »Ich hatte die beste Lehrerin.«
Charlotte legte mehrere Frühlingsrollen in den noch nie benutzten Mikrowellenherd und hatte dabei das Bild ihrer glatten Hände auf seinen rauhen, ungeschickten vor Augen – Eßstäbchenunterricht, damals, als schon die bloße Berührung mit Johnny sie völlig elektrisiert hatte. »Weißt du –«, sie benutzte die Worte dazu, die Erinnerung zu verdrängen, »daß meine Großmutter fast ein Jahr in diesem Büro gearbeitet und die Mikrowelle kein einziges Mal benutzt hat? Sie mißtraute der Technik. Ich habe ihr erklärt, daß ihr Essen aus der Mikrowelle nicht schaden würde, es sei nur bequemer, weil es schneller gar würde. Sie antwortete, zu schnell gekochtes Essen würde zu schnell verdaut und brächte das Gleichgewicht im Körper durcheinander.«
»Vielleicht hatte sie nicht einmal unrecht.«
Charlotte merkte, daß Jonathan sich benahm, als speise er mit der Königin. Sie mußte an die Tage denken, die sie in seinem Schlupfwinkel in dem großen Haus seines Vaters an der Jackson Street verbracht hatten. Es hatte etwas ganz und gar Exotisches für sie gehabt, aus der altmodischen, technikfeindlichen Welt ihrer Großmutter in Johnnys Welt der fortgeschrittenen Elektronik zu kommen, wo Fußboden, Bett und sämtliche anderen Oberflächen mit Schokoladenpapier, Colaflaschen und getrockneten Pizzastücken übersät waren. Sie wußte noch, wie Jonathan sie einmal angerufen und ihr gesagt hatte, sie müßte sofort zu ihm kommen. Es war in dem Jahr gewesen, als sie beide achtzehn wurden, dem Jahr vor ihrem Schulabschluß und einer unbekannten Zukunft. Charlotte war die zwei Blocks bis zu seinem Haus gerannt, vom Hausmädchen eingelassen worden und gleich weiter in den Keller gelaufen, in dem Jonathan seine private Werkstatt eingerichtet hatte, eine mit Radios, auseinandergenommenen Hi-Fi-Anlagen, Fernseherteilen, Drähten und elektronischen Kleingeräten vollgestopfte Welt. Er hatte dort ein Bett und eine Kochplatte aufgestellt, dazu einen winzigen Kühlschrank und einen Farbfernseher, der mit abgeschaltetem Ton ununterbrochen lief. Charlotte erinnerte sich daran, daß sie drei bekannte Gesichter auf dem Bildschirm gesehen hatte: Haldeman, Erlichman und Mitchell. Wegen ihrer Rolle bei der Vertuschung der Watergate-Affäre hatte man sie gerade zu Gefängnisstrafen verurteilt. Charlotte hatte einen äußerst aufgeregten Jonathan vorgefunden, der aussah, als hätte er in seinen Jeans und dem T-Shirt geschlafen, und dessen langes Haar ihm ungekämmt über die Schultern fiel. »Hier, Charlie!« hatte er gerufen, ihre Hand gepackt und sie zu einer Werkbank gezerrt, die mit Radio- und Fernsehbestandteilen sowie leeren Puffreis- und Weingummi-Schachteln bedeckt war.
Sie schaute hin. »Und was ist das?«
Er strahlte. »Der erste Computer der Welt auf Mikroprozessor-Basis! Siehst du? Man gibt Programme in rein binärem Code ein, indem man diese Schalter an der Vorderseite betätigt. Paß auf!«
Sie hatte aufgepaßt. »Was bedeuten die Blinklichter?«
»Das Programm läuft! Ein Programm, das ich ihm eingegeben habe! Zweihundertsechsundfünfzig Bytes Gedächtnis, Charlie! Stell dir das vor! Stell dir vor, was das bedeutet!«
Sie hatte gesehen, wie er lächelte, wie stolz er auf sich war und wie schön ihn seine Freude machte, und sie hatte an das Geheimnis ihrer Party zum fünfzehnten Geburtstag gedacht, das sie vor ihm hütete. Damals hatte sie ihre Freundinnen und Freunde eingeladen, und sie hatten gesagt: »Gerne, solange dieser doofe Johnny Sutherland nicht
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