Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
die immer gedacht hatte, Jonathan liebe sie und wolle sie heiraten, hatte verstanden. Hatte er seine Meinung mittlerweile geändert? Wollte er nun doch sein Leben mit ihr teilen?
Sie trafen sich im Römischen Garten an der Polk Street, wo rotweißkarierte Tischdecken und Kerzen einen freundlich neutralen Ort für zwei Menschen schufen, die einst ein Liebespaar gewesen und nun beinahe Fremde waren. Jonathans Erscheinung war ein Schock für Charlotte. Als sie ihn 1980 in Boston das letzte Mal gesehen hatte, war er langhaarig und dürr gewesen und hatte ein zerlumptes T-Shirt und ausgebleichte Jeans angehabt. Der Mann, der sich vom Tisch erhob, als sie das italienische Restaurant betrat, hätte ein Model für Brooks Brothers sein können. Natürlich wußte sie aus ihrer spärlichen Korrespondenz – meist in Form höflicher Weihnachtskarten –, daß er nach seinem Abschluß am MIT eine Stelle bei der Regierung gefunden hatte, als Computerspezialist, was immer das auch sein mochte. War das das Ergebnis von sechs Jahren Büroarbeit?
Sie setzten sich und sprachen über das Wetter, die Speisekarte, Bücher und Filme, und näherten sich dabei ganz langsam persönlicheren Themen: Charlottes biochemische Forschungsarbeiten im Naturheilmittelbetrieb ihrer Großmutter, Jonathans Leben zwischen seinem Wohnsitz in London und seiner Arbeit für die US-Regierung. Aber das Gespräch war voll nervöser Spannungen, eine Unterhaltung voller Räuspern und unruhigen Händen. Immer wieder fingen sie gleichzeitig an zu sprechen, unterbrachen sich, lachten, sagten: »Nein, du zuerst.«
Sie bestellten Salat und Spaghetti mit Muschelsoße, dazu den Chianti des Hauses. Charlotte fiel auf, daß Jonathan wußte, welches die Salatgabel war, und daß er am Wein roch und ihn probierte, bevor er den Kellner beide Gläser füllen ließ.
Mitten im Essen überraschte er sie mit einem Geschenk. Sie hatte ihm nichts mitgebracht. Als sie das wunderschöne Seidentuch und das Windspiel aus Kristallglas sah, durchzuckte sie eine plötzliche Hoffnung, er sei tatsächlich gekommen, um ihr zu sagen, daß er wieder mit ihr zusammensein wolle.
»Du arbeitest also immer noch für die Regierung?« fragte sie und hatte auf einmal keinen Appetit mehr, sondern fühlte sich federleicht. Was für ein schönes Geschenk! Und noch wundervoller war, daß er sich entspannte und so dem alten Johnny, den sie kannte, wieder ähnlicher wurde. Erinnerungen an ihre gemeinsame Jugend in San Francisco ließen sie auf einem Zauberteppich aus großen Hoffnungen und neuentflammter Liebe dahinschweben. »Ich weiß gar nicht mehr, was es war – das FBI? Oder der CIA?«
»Die NSA – National Security Agency. Wir schützen den Nachrichtenverkehr unserer Regierung.«
Sein schottischer Akzent war längst verschwunden. Damals am MIT hatte Jonathan eine sehr englische Aussprache gehabt, das Ergebnis von vier Jahren Cambridge. Inzwischen war sein Tonfall weicher geworden und klang amerikanischer, vermutlich die Folge der sechsjährigen Tätigkeit für die US-Regierung. Es war ein Tonfall, der sie daran erinnerte, daß Jonathan sich immer noch zwischen zwei Welten bewegte. Sie fragte sich, ob er sich jetzt endlich für eine davon entschieden hatte, um dort seßhaft zu werden.
»Du machst mich neugierig. Wie um alles in der Welt bist du denn dort gelandet?« Wie typisch für Johnny, dachte sie in einem plötzlichen Anflug von Glück. Ein gewöhnlicher Bürojob kam für ihn nicht in Frage!
»Man hat mich angeworben.« Er lachte. »Genauer gesagt, ich wurde verhaftet. Sie schnappten ein paar von uns. Einige meiner Kumpel wurden eingelocht, weil sie Zeugnisse fälschten und Noten änderten. Mit unseren Fähigkeiten konnten wir jedem, der es haben wollte, für fünfzigtausend Dollar eine hochoffizielle MIT- Promotionsurkunde besorgen.«
»Hast du das auch gemacht?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das war mir zu einfach. Mein Ding war die Flugsicherung. Ich suchte mir einen Zugang zu ihrem System und schaffte es, bis in den Kontroll-Tower am John-F.- Kennedy-Flughafen vorzudringen.«
»Und?« Sie stützte sich auf die Ellbogen und kam ihm ganz nah.
»Ich griff nirgends ein, obwohl ich es hätte tun können. Ich habe nur eine Weile zugeschaut – und dabei gesehen, wie ein TWA-Jet ein brasilianisches Flugzeug ganz knapp geschnitten hat. Offenbar ist es dort oben manchmal ziemlich eng.«
»Und dann haben sie dich beim Schnüffeln erwischt?«
»Nein, ich lasse mich nie erwischen.
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