Das Haus der Harmonie: Roman (German Edition)
sah, erklärte Mrs. Po: »Bitter heilt am besten. Sie das nicht wissen, dann Ihre Medizin nicht gut.«
Aber meine Mutter hatte gesagt: »Erfreue die Geschmacksknospen, und der Magen wird folgen.«
Ich verlor allmählich den Mut. Mrs. Po war Chinatown – sie stand für all die Menschen, denen ich meine Arzneien verkaufen wollte. Wenn ich sie schon nicht überzeugen konnte, wie durfte ich hoffen, Tausende für mich zu gewinnen?
Also gab ich kostbares Geld dafür aus, Roter-Drache-Mittel zu kaufen, um sie zu testen. Ich stellte fest, daß die Tees bitter, die Balsame übelriechend und die Kräuter von mangelhafter Qualität waren. Anscheinend kaufte sie jeder nur deshalb, weil die anderen es eben auch taten. Ich sah auch, daß jedes Roter-Drache-Produkt mehr als eine Heilwirkung versprach. Für die sparsame und pragmatische Denkweise der Chinesen war das Mittel, das die größte Zahl von Leiden kurierte, auch das beste. Warum sechs Arzneimittel kaufen, wenn man sechs Kuren für den Preis von einer bekam? Ich setzte mich auf den Boden und verglich. Zuerst legte ich meine eigenen zwölf Arzneien vor mich hin, die ich auf der Kochplatte zusammengebraut hatte. Es waren zwölf Medikamente gegen zwölf Beschwerden. Dann stellte ich daneben die Roter-Drache-Salbe, die »die Manneskraft stärkt, Würmer vertreibt, die heiße Leber kühlt, die Milz wärmt und Warzen beseitigt«, und den Roter-Drache-Tee, der »Mumps vorbeugt, Zahnschmerzen lindert, Unregelmäßigkeiten des Monatsflusses heilt, mangelndes Yin ersetzt«.
Ich staunte, daß ein Heilmittel so viele Wunder wirken konnte. Auf den Packungen stand nicht, welche Kräuter sie enthielten. Aber darauf kam es auch nicht an. Die Chinesen dachten: Alles in einem Topf. Sehr kluger Kauf.
Ich dachte an den Balsam meiner Mutter, den Mrs. Po nicht haben wollte. Er hatte ein einfaches Rezept und bestand aus Menthol, Wachs, Eukalyptus, Vaseline und Kampfer gegen blaue Flecke und verletzte oder geschädigte Haut. Er funktionierte gut und schnell. Aber das reichte nicht. Konnte ich weitere Inhaltsstoffe hinzufügen, die den Balsam auch gegen andere Leiden wirksam machten?
Während ich über dieses Rätsel nachgrübelte, schrubbte ich Fußböden für Mr. Chin und Töpfe für Wong Lo, bis meine Hände wund und blutig waren. Ich bügelte für Mrs. Po und erledigte Botengänge für Ladenbesitzer, bis ich zu Tode erschöpft war. Mit dem Geld, das ich verdiente, kaufte ich neue Kräuter und mischte sie in meinen Balsam – Mandelöl, um die Haut zu nähren, und gemahlene Zikaden, um sie vor Allergien zu schützen, Chrysanthemenblüten, um Abszesse abheilen zu lassen, und Kudzuwurzel, um Muskelverspannungen und Schmerzen zu lindern, Rhabarber, um Schwellungen zurückgehen zu lassen, und Gips gegen Hitzeausschlag. Jede Nacht mühte ich mich an meiner kleinen Kochplatte um die richtige Mischung der Zutaten – nicht zuviel von einer Substanz, damit die Salbe nicht giftig wurde, aber auch nicht zu wenig, weil sie sonst nicht wirkte. Ich kaufte eine kleine Uhr mit lautem Weckton, so daß ich schlafen konnte, während meine Gardenienfrucht köchelte, und rechtzeitig aufwachte, um die Brühe abzuseihen, neues Wasser hinzuzufügen, das Ganze weiterköcheln zu lassen und wieder ein bißchen zu schlafen.
Wenn ich ein Kraut nicht bezahlen konnte, arbeitete ich dafür bei Mr. Huangs Handelsgesellschaft. Dann stand ich um Mitternacht an seiner Hintertür, nahm eine Lieferung aus China importierter Kräuter entgegen und arbeite den ganzen Rest der Nacht daran, sie zu sortieren und zu prüfen, sie von Schmutz und Verunreinigungen zu befreien und alle medizinisch nicht verwendbaren Pflanzenteile zu entfernen. Anschließend trennte ich sorgfältig Blüten, Stengel und Wurzeln, wusch und trocknete sie und legte sie Mr. Huang hin, der sie morgens begutachtete. Dafür erhielt ich eine bestimmte Menge Yunnan bai yao, sogenannten Berglack, eine starke Substanz, die Blutungen stoppt und Wunden schnell heilt.
Der Balsam meiner Mutter wurde um viele neue Inhaltsstoffe bereichert. Aber würden sie sich auch miteinander vertragen? Und wie sollte ich das herausfinden?
Ich brauchte einen Patienten. Mrs. Po wollte mir ihre rauhen Hände nicht anvertrauen, ihr Ehemann zog es vor, seine Migräne zu pflegen, Mr. Huang lehnte die Möglichkeit, sein Ekzem heilen zu lassen, höflich ab, und Mr. Lee hatte keine körperlichen Beschwerden.
Am Ende blieb nur ein wirklich zuverlässiger Weg, meine Salbe zu
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