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Das Haus der kalten Herzen

Das Haus der kalten Herzen

Titel: Das Haus der kalten Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Singleton
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streichelte es noch einmal und kehrte ins Labor zurück, die Tür schloss er hinter sich ab. Gedankenverloren blieb er am Tisch stehen und schaute auf die lange Reihe von Gerätschaften. Der Wind drückte aufs Fenster. Ein paar dicke Regentropfen spritzten gegen das Glas. Innerhalb von Minuten entwickelte sich der Schauer zum Guss. Der düstere Raum wurde dunkler, und Claudius begann, den Kerzenwald zu entzünden. Frisches Wachs tropfte aus den Flammen und bahnte sich seinen Weg über bereits erstarrte Bäche, um sich in neuen und grotesken Formen unten an der Kerze, auf dem Tisch, den Vitrinen und dem Fußboden zu sammeln.
    Claudius stand in diesem Flammenschein und blätterte die Notizen in seinem ledergebundenen Notizbuch durch. Er begann mit der Arbeit.
    Mercy kauerte sich an die Wand, um ihn zu beobachten. Ein Strom von Gedanken oder eine Leidenschaft schienen Claudius nun erfasst zu haben. Er machte sich an die lange, komplizierte Aufgabe, seine Geräte zusammenzubauen, wobei er die neuen Teile aus den Kisten ebenso benutzte wie ältere, die er bereits besessen hatte. Er riss die Schaubilder von den Wänden und griff auf seine alten Notizen zurück. Ausgiebig studierte er Seiten der neuen Bücher. Nicht ein einziges Mal ließ er sich von der anstehenden Aufgabe ablenken. Er war konzentriert, ein Besessener. Er wurde selbst zu dem Prozess, indem er las, nachdachte, baute, wieder zerlegte, schrieb und alles von Neuem überdachte.
    Die Kerzen brannten herunter und wurden ersetzt. Der Regen ging vorüber und für kurze Zeit brach die Sonne durch die Wolken und ließ die Tropfen auf dem Fenster glitzern.
    Claudius verbrannte ein gelbes Pulver in einem Steintiegel. Zuerst war der Rauch beißend, dann süß wie Jasmin. Er rührte die zurückgebliebene Asche in eine klare Flüssigkeit und sprenkelte sie auf winzige Kristalle, die rot wie getrocknetes Blut waren. Dann räumte er den Tisch frei, benutzte das Gemisch als Tinte und zeichnete damit Symbole auf die schartige Platte. Ein Kreis, die vier Himmelsrichtungen, von Glyphen markierte Abstände. Er ordnete sein Netzwerk von Reagenzgläsern neu, sodass sie in das venezianische Ei mündeten, das aus der ersten Kiste geschlüpft war. Schließlich trat er zurück. Offenbar war jetzt alles fertig.
    Was jetzt? Mercy regte sich, ihr Rücken war steif und sie hatte Krämpfe in den Beinen. Sie streckte ihre Glieder und stellte sich hin. Was jetzt? Wie gebannt wartete Mercy im Schatten.
    Claudius ließ den Blick noch einmal über den Versuchsaufbau schweifen, holte tief Luft und atmete … ein und wieder aus. Sein Gesicht war sehr blass. Hektische Flecken zeigten sich auf seinen Wangen. Die Lippen waren fast weiß. Er strich sich das Haar aus dem Gesicht. Nachdem er einen Entschluss gefasst hatte, wandte er sich vom Tisch ab und verschwand wieder in den anderen Raum. Er kam mit einem geschlossenen Korb zurück, in dem sich ein Tier bewegte und seltsam seufzende Geräusche von sich gab.
    Claudius stellte den Korb auf den Tisch und redete beruhigend auf das Tier darin ein. Eine schwarz-weiß getigerte Katze drückte ihren Kopf klagend gegen das Korbgeflecht und miaute. Mercy bohrte sich die Fingernägel in die Handfläche. Plötzlich hatte sie eine böse Vorahnung. Was mochte er vorhaben? Die Katze miaute weiter, drehte sich in dem engen Korb um sich selbst, während der Mann ein letztes Mal in den anderen Raum ging und mit einem ausgestopften Tier in der Hand zurückkam. Er stellte es an das Ende des Tisches. Mercy rückte näher, um zuzuschauen.
    Nein, das war nicht noch eine taxidermische Arbeit – obwohl es sich um eine ähnliche Wissenschaft zu handeln schien. Claudius hatte das Abbild einer Katze hergestellt. Eine komplexe Konstruktion. Die Nachbildung war zur Hälfte mit schwarzem Stoff bezogen, Gesicht, Körper und zwei Beine. Die andere Hälfte war unbedeckt geblieben, und man sah, wie raffiniert das Gebilde funktionierte. Es war aus Holz, Elfenbein und Kupferdrähten angefertigt, hatte wässrige bernsteinfarbene Augen und (vermutlich mit Sägemehl) ausgestopfte Hohlräume, die ihm Volumen gaben. Die Katze glich den ausgestopften Tieren in den Vitrinen.
    Mercy konnte kaum atmen. Sie fühlte ihr Herz im Hals klopfen.
    Claudius setzte die Katze im Korb mitten in den Kreis, den er auf der Tischplatte beschriftet hatte. Er schlug eines der neuen Bücher auf und holte ein Blatt Pergament hervor, braun vom Alter und von Wasserflecken. Er trat zurück, stellte sich aufrecht

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