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Das Haus der kalten Herzen

Das Haus der kalten Herzen

Titel: Das Haus der kalten Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Singleton
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festzuhalten, schien mir so viel einfacher zu sein.«
    »Du … du bist also nicht böse auf mich?«, sagte Mercy. Die Last ihrer Schuld wurde leichter.
    Trajan stand auf. Er lächelte wieder. Dieses Mal war es ein warmes Lächeln. Seine Wangen bekamen Farbe.
    »Nein, ich bin nicht böse auf dich«, sagte er. »Ich habe das Haus in eine lange dunkle Winternacht eingeschlossen. Damals erschien mir das passend. Mein Herz war kalt. Das Leben schien Ödland zu sein, auf dem nie wieder etwas wachsen konnte. Keine Hoffnung auf Erneuerung. Ich wollte einen endlosen Schlaf. Aber ich war selbstsüchtig, Mercy. Ich habe nicht an dich und Charity gedacht. Euer Bedürfnis nach Leben war stärker als mein Verlangen, es zu beenden.«
    »Und … können wir wieder leben? In Century?«
    »Ja«, sagte er. »Ja, das können wir.«
    Er stellte sich am Fenster in die Sonne und schaute hinaus auf den Park. Mercy folgte ihm.
    »Wie fühlst du dich jetzt?«, fragte sie und musterte sein Gesicht. »Tut es noch immer so weh, dass du Mutter verloren hast?«
    Trajan schaute zu ihr herab. »Natürlich«, sagte er. »Es kommt in Wellen. Es ist nicht immer schlimm. Und ich habe ja dich und Charity, die mich über den Verlust hinwegtrösten können. Ich habe euch beide vermisst. Ich habe Angst, weil die Welt draußen sich in hundert Jahren sehr verändert hat. Und ich fürchte, dass ich nicht weiß, wie wir leben sollen, wenn wir so anders sind als alle anderen. Aber das ist eine sehr alte Angst und ich bin an sie gewöhnt. Ich brenne darauf, die Pflanzen im Arboretum und in den Gewächshäusern zu inspizieren, und ich bin sehr hungrig, also schlage ich vor, wir gehen in die Küche. Ich hoffe, Aurelia kann uns ein riesiges Essen kochen. Wir haben sehr viel nachzuholen.«
    Er streckte die Hand aus und Mercy packte sie ganz fest.
    »Komm mit«, sagte er. »Es wird Zeit zu gehen.«
     
    Aurelia musste sehr schrubben, um den Ruß von Mercys Haut und Haaren zu entfernen. Sie füllte eine Zinkwanne vor dem Herdfeuer mit heißem Wasser. Charity saß auf der anderen Seite des Küchentisches, lachte und baumelte mit den Beinen. Mercy beklagte sich, als der Kamm durch die Knoten in ihrem dicken, nassen Haar fuhr. Als Aurelia schimpfte, legte Mercy die Arme um ihren starken, knochigen Körper und drückte ihr feuchtes Gesicht ganz fest an die Haushälterin, bis sie aufhörte zu schimpfen und stattdessen zu schniefen anfing und sich mit dem Handrücken die Augen rieb.
    Weder Charity noch Mercy hatten ein Kleid, das passte, deshalb nahm Galatea Kleider aus dem Schrank ihrer Mutter. Die waren zwar auch brüchig und ausgeblichen, aber zumindest konnten sie noch hinten zugeknöpft werden. Charity krempelte die Ärmel um. Mercy trug ihre Perlenohrringe.
    Claudius sahen sie nicht. Vielleicht war er bereits auf der Rückreise in die alte Heimat. Insgeheim war Mercy erleichtert, dass er nicht hervorgekommen war. Es gab Dinge in der Vergangenheit, an die sie sich lieber nicht so genau erinnern wollte.
    Trajan war ganz erstaunt über die Mädchen in ihren schönen Kleidern. Mit Galatea und Aurelia saßen sie alle gemeinsam am Küchentisch. Vor Trajan stand eine große Flasche Wein, die ganz grau vom Staub war, und er hatte schon einige Gläser getrunken. Jetzt war sein Glas wieder voll. Mercys Haar glänzte, es fiel noch immer offen über ihre Schultern. Die Familie machte sich über ein Festmahl her: gebratenes Hühnchen und Kartoffeln, Berge von Rosenkohl und Pastinaken. Alles war heiß und gut und saftig und voller Geschmack.
    Danach, als der Tag langsam zur Neige ging, nahm Trajan die Mädchen mit nach draußen. Sie beobachten, wie die Sonne hinter den Bäumen unterging, zwischen Wolken, die aussahen wie lange rosa und goldene Wimpel.
    »Was machen wir heute Abend?«, fragte Trajan. »Wollen wir Musik hören? Sollen wir etwas lesen oder Karten spielen?« Sein Gesicht war rosig, und Mercy hatte den Verdacht, dass er ein wenig beschwipst war. Er wirkte ziemlich munter.
    »Karten«, sagte Charity. »Ich weiß nicht mehr, wie man spielt. Ihr müsst mir das noch mal beibringen. Und davor müsst ihr die Karten finden.«
    Trajan legte den Kopf in den Nacken und lachte. »Wir kaufen neue«, sagte er. »Ist das nicht aufregend? Wie mag die Welt da draußen sein? Nach einem Jahrhundert?«
    Die Sonne verschwand, die letzten lodernden Farben erstarben unter den Wolken. Trajan fasste die Mädchen bei den Händen und brachte sie zurück ins Haus.

Nachwort
    Mercy und Charity

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