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Das Haus der Rajanis

Das Haus der Rajanis

Titel: Das Haus der Rajanis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alon Hilu
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Rajani

    Welch sonderbare und unerwartete Note war dies, nicht etwa von einer Dirne oder einem unzüchtigen Weib, Gott bewahre, sondern von einer Gutsherrin, einer verheirateten Frau, die sich Madame Rajani nennt, in bestem Französisch ohne auch nur den geringsten Fehler verfasst.
    Sogleich errötete ich beschämt ob meines Irrtums, mich dergestalt in
la Madame
getäuscht und sie für eine Person ohne Kultur gehalten zu haben, doch was den Jungen betraf, so hatte ich allem Anschein nach zumindest in dieser Hinsicht mich nicht allzu geirrt. Krank war es, das Knäblein, und der Hilfe und Heilung bedürftig, allein ob seines schwachen, kraftlosen Ganges und seines Körpers, des Körpers eines schwachsinnigen, geistig verwirrten Kindes.
    Ich nahm an meinem Schreibtisch Platz und verfasste nachfolgende Note, die ich Salim und Salam zur retour mitgab:

    Verehrteste,
    es wird mir ein Vergnügen sein, Ihren Sohn zu der von Ihnen festgesetzten Stunde an dem von Ihnen genannten Orte zu treffen. Gleichermaßen hoffe ich inständig, auch Ihnen eine Hilfe zu sein in jeder von Ihnen nur gewünschten Angelegenheit und Hinsicht.
    Hochachtungsvoll,
    Isaak (Jacques) Luminsky

    Der Johannisbrotbaum, die Zypresse und die Akazie, sie alle winken mir hämisch mit ihren Kronen, die grünäugigen Dschinne schielen nach mir, und die Tore unseres Anwesens kreischen, da alle Welt mich verhöhnt und verspottet, ein donnerndes, heiseres Lachen von Wolke zu Wolke wandert, sie alle dieses hochmütige, einfältige Kind verlästern, das sich angemaßt, an die Liebe des Engels zu glauben, bis es seinen goldenen Locken verfallen, das zu glauben gewagt, ein erhabenes und himmlisches Geschöpf wie er würde ihm seine Freundschaft gewähren, denn ein Trauerkloß ist er, der Salach, der Unterwerfteste unter den Unterwerften, von allen gehasst, ja sogar von seinem Vater und seiner Mutter, während dieser Engel dem Schöpfer der Welt nahe ist und in den heiligen Hallen in der Höhe wandelt, was also sollte der eine mit dem anderen gemein haben, der Verachtete und in den Staub Getretene mit dem Wunderbarsten unter den Wunderbaren?
    Einsam und allein schließe ich mich in meinem Zimmer ein, das ganz und gar überquillt von Zeichnungen und Gemälden des schön Anzuschauenden, doch die Früchte meines Pinselstrichs treten mir mit einem Male anders entgegen, begegnen mir mit archaischer Feindseligkeit, da in die Schönheit des Engels, dessenNamen ich nicht weiß, sich unversehens dicke, schwarze und finstere Linien gestohlen haben und ich diese meine schwächliche Gestalt verachte, deren Kleider verschlissen und geflickt, schmutzig und über und über mit Kot befleckt sind, sodass ich schweren Herzens meine Tagebuchhefte nehmen und sie in Stücke reißen werde, sie dem strömenden Regen überantworten, auf dass er sie mit seinen Wassermassen überflute, sie auf Strömen und reißenden Flüssen hinwegträgt zu einem Orte des Vergehens und der Stille, der Worte Tinte auszuwaschen, und beim Anblick der zerrissenen Seiten meines Tagebuches erfasst mich ein stechender Schmerz, der mein Innerstes durchbohrt, Herz und Nieren aufschlitzt und meine Kehle und meine Tränen vergiftet, der Schmerz über diesen Engel, den ich nie wieder werde sehen, dessen gewinnendes Lächeln niemals mehr mir wird gelten, die leuchtend blauen Augen, die mich nie wieder werden schauen, die Finger, die sich nicht mit den meinen werden verschränken, bis ich nach Laila rufe, um mich in ihre Arme zu flüchten, mit ihr unser gemeinsames Leid zu beweinen, doch auch sie entzieht sich mir, ihre Worte fließen nicht länger aus Tinte und Feder, ihre Beschreibungen geraten dürftig, ihre Geschichten stockend, und als Mutter mich am Mittag zu Tisch ruft, verriegle ich meine Tür und schließe die Läden vor dem Fenster, antworte nicht auf ihre Rufe, denn kein Krumen Nahrung soll mehr über meine Lippen kommen, da die Chronik meines Lebens auf dieser Seite enden und nicht eine weitere Zeile in meines Tagebuches Seiten geschrieben sein möge.

30. September 1895, Neve Shalom
    Die ganze Nacht und den ganzen Tag habe auf meinem Lager ich mich gewälzt, ruhelos vor Verlangen nach dieser grünäugigen Madame Rajani, die mir Liebeswerbungen schreibt und mich einlädt, zu ihrer Pforte zu kommen – um ihres imbezilen Sohnes willen. Ihre bronzene Haut und rosigen Lippen versetzen mich in einen Zustand der Erregtheit, und der Duft eines Abenteuers steigt mir in die Nase.
    Ich befragte Salim und Salam, welche

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