Das Haus der Rajanis
verderblichen Engel in die Falle seiner eigenen Worte zu locken und ihm ein volles Geständnis zu entringen, unter Freunden, dass jenes Verbrechen er tatsächlich begangen, für das ich, auf Geheiß meines Volkes, mich würde erheben und ihn töten müssen, um Blut mit Blut zu vergelten, seine Seele für die meines Vaters zu nehmen.
Da Menschen nun mal zur Lüge und nicht zur Wahrheit neigen, muss man Geständnisse ihnen in belanglosen Gesprächen entlocken, über Dinge von allerhöchster Wichtigkeit, die sie und ihr eigenes Leben nur in wenigem berühren, auf Umwegen, und da Menschen in ihrem Schwätzen und Plappern unwissentlich all das preisgeben, was zu verbergen sie bemüht, begann auf höchst allgemeine Weise ich über die Natur seines Volkes zu sprechen, die Juden, ob die Anschuldigungen der Völker der Welt zutreffend seien, dass diese zu Lug und Trug neigten, worauf der verderbliche Engel mir antwortete, fürwahr, dies sei richtig und alle Ankläger im Recht, da tatsächlich so beschaffen die Natur des Juden, weshalb eine weitere Frage wie nebenbei ich einwarf, da wir zwischen Felsbrocken und Setzlingen einherschritten, ob nämlich es auch die Natur des Juden sei, eines anderen Mannes Besitz und Weib zu begehren, was der Engel des Verderbens abermals freimütig und mit selbstsicherem Lachen bejahte, als tauschten Witze und Späße wir, doch über sich selbst er sagte nichts, sodassweitere verunglimpfende und provozierende Fragen ich stellte über die Natur seines Volkes, und der Engel all meine Anschuldigungen bereitwillig bestätigte, derweil ich neben ihm schritt und mir das Hirn zermarterte, wie diesen Gegner ich besiegen sollte, dessen Zunge so geübt und versiert in Lug und Trug, wie zu einem vollen Geständnis ich ihn verleiten könnt und dann mit meinen eigenen Händen sein Leben nehmen, doch fand nicht einen guten Rat ich.
14. Januar 1896, auf dem Anwesen der Rajanis
Die psychotische Gesundheit des Jungen hat ausnehmend gekräftigt sich, und heute gar er willigte ein, mit mir durch die Obstgärten und Plantagen zu spazieren und über dieses und jenes sich zu unterhalten.
Ich schäme mich nicht zu gestehen, dass viele Phantasien über das Gut ich hege, wie etwa Kolonisten herzubringen und viele Türme zu erbauen hier, ganze
Dulam
urbar zu machen und Hektar um Hektar aller Arten von Bäumen dort zu pflanzen, ja eine Kolonie dort zu gründen, welche die krönende Zierde aller Kolonien im Heiligen Lande werden soll, doch stattdessen bin vollkommen in Beschlag genommen ich durch den Jungen, um gänzlich zu heilen ihn und die Lebensfreude und Ausgelassenheit von Kindern seines Alters ihm zurückzugeben.
Den ganzen Tag habe ich damit verbracht, seine Gedanken abzulenken von den Angst und Furcht weckenden Visionen, die über einen nahenden Krieg er hegt. Um aufzumuntern ihn, erlaubte ich, dass mit seinem Fahrrad er durch die Pfützen fährt, die der Regen hinterlassen, und baute derweil drei hölzerneSchiffchen ihm, die auf einem kleinen, flachen Tümpel wir fahren ließen.
Just als eines der Schiffchen durch Schilf und Rohr segelte, griff der Junge plötzlich mit beiden Händen sich an den Kopf und begann zu schreien. Sein Körper bebte. Seine Haut wurde gleich der von gerupften Gänsen. Lange mühte ich mich, ihn zu beruhigen, doch er gab sein Schluchzen nicht dran. Da ich ihn umarmte, gänzlich ratlos, kam mir die Gestalt eines in Wien wohnhaften jüdischen Doktors in den Sinn, dessen Name mir entfallen, ein moderner Doktor, der in seiner Klinik alle möglichen verrückten und debilen, geistesgestörten und dem Wahn anheimgefallenen Patienten empfängt, die er auf eine Ottomane sich betten lässt, um alsdann sein Ohr wie eine Muschel zu formen und jedem ihrer Worte mit größter Hingabe zu lauschen, wodurch er, ohne ihnen jemals zu widersprechen, sie von ihrem Leiden heilt und ihnen ihre geistige Gesundheit zurückgibt.
Ich beschloss daher, den Jungen nach dem Rezept dieses Doktors zu erziehen.
Ich sagte zu ihm: «Dieser Krieg, über den gestern du sprachest …»
«Was ist mit ihm?», fragte er, noch immer zitternd.
«Erzähl mir mehr davon.»
Er sagte: «Du sagtest doch, in deinen Augen seien nutzlose Gedanken diese.»
«Aus Unverstand sagt ich solches», erwiderte ich.
«Nein», sagte er, «recht hattest du. Zerstreut war mein Verstand oder beklagenswert verdummt.»
Alsdann begann er, das Gespräch auf verschiedene Pfade umzulenken, doch ermutigte und drängte ich ihn, mehr zu erzählen,
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