Das Haus der Rajanis
über ein Geländer sich lehnend. Er nannte mir sogar seinen Namen, aber dieser ist schwierig in der arabischen Sprache auszusprechen.»
Amüsiert sagte ich: «Und was noch hat der Prophet Salach verkündet?»
Besorgt sagte sie: «Er sah einen sonderbaren Mann, der auf dem Kopfe stand. Und eine Frau mit mächtigen Brillengläsern,mächtigen Armen und der mächtigen Stimme eines Mannes. Und einen Mann mit einer schwarzen Klappe über einem Auge. Alle diese waren Feinde unseres Volkes, kriegslüstern und im Blute tanzend.»
Ich sagte: «Glaubst wirklich und wahrhaftig du diesen Mumpitz? Das Blut den Juden ist doch heilig, ja nichts anderes als Frieden und Ruhe wünschen sie. Verstehst du nicht, Afifa, dass grundlose Furcht deine Knochen erzittern lässt und Einfalt aus deiner Kehle spricht? Fasse dich, meine Schöne, ich bin hier, dir zur Seite.»
Sie sah mich an, und ihre Augen tränten.
Ich sagte: «Ich weiß, dass viele Veränderungen auf dem Gute sich vollzogen. Dein Gatte ist in der Blüte seiner Jahre dir verstorben, dein Sohn verwaist und vaterlos nun. Aber neben alldem sind gute Tage über dieses Haus gekommen, ist mit einem Mal in allem eine tätige Hand am Werke. Die Bäume grünen, Früchte und Blumen sprießen, wohin auch das Auge fällt. All dies hat gewisslich deine Seele in Aufruhr versetzt, doch vertraue mir, Afifa, es ist alles zum Guten.»
«Und der Junge?», fragte sie.
Ich sagte: «Enthebe jeder Sorge um den Jungen dich. Ich schwöre dir, dass all seine Wege ich begradigen werde. So wie die Bäume des Anwesens wachsen und knospen, so wird auch Salach gedeihen und erblühen.»
«Amen», sagte sie. «Mögen diese Worte aus deinem reinen Munde, der Perlen erzeugt, ihren Weg zu Allahs Ohren finden.»
Ich nahm ihre Finger und küsste sie einen nach dem anderen.
Und da ich sah, dass noch immer sie nicht vollkommen gefasst, füllte meine Lungen ich, öffnete meine Lippen und sagte ihr in verhaltenem, belegtem Flüsterton jene drei kurzen und simplen Worte, die jede Frau zu hören begehrt.
Gleich sank in meine Arme sie und sagte: «Auch ich liebe dich.»
Sie küsste mich und flüsterte: «Vergib mir all meine Treulosigkeiten, geliebter Jacques, Liebe meines Lebens.»
Und ich sagte: «Ich vergebe dir.»
18. Januar 1896, Café Armon
Sooft in das Café Armon ich mich empfehle, erscheint wie aus dem Nichts sogleich dieser Bettelpoet, welcher der Wilde Ochs gerufen, um mir Gesellschaft zu leisten, worauf mit einem Gläschen Schnaps oder Likör ich ihn beehre und einem Bissen dazu, Kreplach oder Wareniki, seinen knurrenden Magen zu füllen. Auch heut, wie an allen anderen Tagen, kam er und nahm Platz neben mir, bedachte mit einem Schluck Wein ich ihn und berichtete alsbald ihm von meinen Nöten mit dem sonderbaren Jungen auf dem Gute der Rajanis, welches beizeiten ich in eine Kolonie erster Güte zu verwandeln hoffe.
Der Ochs beugte derweil seinen Kopf über eine der Servietten des Kaffeehauses, kritzelte einige Worte darauf und reichte alsbald mir diese.
Ich fragte: «Was soll dies sein?»
Er sagte: «Ein Trostgedicht zu deiner Erbauung, das soeben dir zu Ehren ich verfasst.»
Also las ich, was dort geschrieben stand:
Zum Wohl, Brüder, zum Wohl!
Die Gläser füllt mit Wein!
Nimmer wir sitzen allein,
tränenden Aug’s und hohl …
Die Natur dieser Verse erschien mir ein wenig idiotisch, doch als Dank für seine kolossale poetische Bemühung lud den Herrn Wilder Ochs ich zu einer dampfenden Schüssel Tscholent ein, welche er genüsslich auch hinunterschlang.
Eines der Kinder der Pachtbauern kam heute Nacht und rief aufgeregt nach mir, und da zu solch später Stunde es unter meinem Fenster erschienen – ein Vergehen, das ihnen strengstens verboten, da die Pachtbauern auf die Hütten, in welchen sie wohnen, zu bescheiden sich haben – und da inständig es mich bat, ihm ohne Aufschub zu folgen, verstand ich, dass etwas Schreckliches auf unserem Gut sich zugetragen haben musste, denn in den letzten Wochen jagt ein Ereignis das nächste, seit jenem Tage, an dem der Engel des Verderbens seine Flügel gefaltet und auf dem Dach unseres schutzlosen Hauses gelandet und begonnen hat, alle Ordnung anzufechten und alle Liebe zu zerstören.
Ungeachtet der späten Stunde und der Finsternis, die alles umgab, waren alle Pachtbauern, ihre Frauen und Kinder noch wach und auf den Beinen und redeten erregt und verängstigt durcheinander, doch als ich mich ihnen näherte, trat Stille ein, umringten mich
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