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Das Haus der Rajanis

Das Haus der Rajanis

Titel: Das Haus der Rajanis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alon Hilu
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wandte sie uns ihr Haupt und ihren Blick zu, und siehe, es war dein verstorbener Vater in den Tagen seines Ruhmes und seiner Pracht, das Schwert an seinem Schenkel ebenjene vortreffliche Klinge, die im Kampf mit den Chasradsch erbeutet ward, und seinKopfschmuck rot, doch sein Antlitz war das eines blassen Totenschädels ohne Augen.»
    Zittern und Beben befielen den Jungen, und die Wachen erschraken, da sie fürchteten, seine trauernde und gepeinigte Seele über Gebühr aufgewühlt zu haben, da Raschid, hoffend und bangend, sie fragte, ob dies nicht eine trügerische Halluzination gewesen, doch sie erwiderten: «Nein, wir beiden haben wie ein Mann es gesehen», und Raschid fragte: «Und was wünschte der Geist?», worauf sie antworteten: «Das hat er nicht gesagt, doch sein Blick war gramgebeugt, versunken in bittere Enttäuschung, als habe er nicht erwartet, uns zu treffen, sondern einen anderen.» Und Raschid flüsterte: «Mich, ich war es, den zu treffen er erhofft.» – «Das ist, was auch wir glauben», erwiderten sie.
    Die Wachen gossen Raschid belebende Kräuter auf mit heißem Wasser, ihn wach zu halten, und er blieb bei ihnen, in wärmende Decken gehüllt, die ganze Wache über, um den Geist zu sehen, sollte er sich ein zweites Mal zeigen, denn obgleich den Jungen vor Angst schauderte, war entschlossen er, die Erscheinung noch in dieser Nacht zu treffen und zu ihr zu sprechen, um den Grund zu erfahren, warum aus der Welt der Toten sie zurückgekehrt, wie es sonst nur in Geschichten und Fabeln heißt, da die Seele des Verstorbenen noch in der Dämmerung umherschwebt und keine letzte Ruhestätte zu finden vermag.
    Die Stunden verronnen, und jeden Augenblick würde auf seinem Posten der Junge einnicken, da das eintönige Säuseln des Windes und das peitschende Geräusch des Wüstenwacholders ihn schläfrig gemacht, als mit einem Male die Wachen an seinen Kleidern zupften und ihn beim Namen riefen, ihn weckten und sagten: «Dort, sieh dort», und die Spitzen von tausend Nadeln stachen in sein Herz, denn genau, wie sie ihm nur wenige Stunden zuvor beschrieben, tauchte nun dort die Gestalt eines Geistes auf, bedrücktund trauernd, dessen mächtige Schenkel, der stattliche Wuchs und das schwere Schwert, über und über verziert mit Edelsteinen für jede Kehle, die es durchtrennt, die Gestalt seines toten Vaters wieder erstehen ließen, und die Wachen hielten zurück den Jungen, als wie von Zauberstricken gefesselt er Anstalten machte, auf die Erscheinung zuzuschreiten, und sie warnten ihn, tiefe, dunkle Löcher voller Salzwasser klafften auf der Ebene, die jenseits des Hügels sich erstreckte, und bestürmten ihn, sein Leben nicht zu wagen, doch Raschid wollte nichts mehr als zu seinem Vater, ihn noch ein letztes Mal sehen und vielleicht aus seinem Munde oder dem Munde des Geistes, der seine Gestalt angenommen, erfahren, warum noch immer er zwischen der Welt der Lebenden und der Welt der Toten umherirrte.
    Der Geist bedeutete Raschid, ihm zu einem kleinen, verborgenen Tal zu folgen, ebenjenem flachen Tal, dessen Erde trügerisch über ihre ganze Länge und Breite der Jäger Fallen und Schlingen viele barg, und als ein wenig von den Zelten sie sich entfernt und nur noch das Licht längst verloschener Sterne über ihnen hing, wandte der Geist sich um und sagte: «Mein Sohn», und Raschid fragte: «Bist du es, Vater?», und der Geist antwortete: «Ja», und seine Stimme bebte, da der Junge gewahrte, dass aus den dunklen, leeren Augenhöhlen dieses Geistes sich ein Strom der Tränen ergoss, und eine fremde und befremdliche Erkenntnis ihn traf, Vater weint, Vater weint.
    Der Junge schwieg, und der Geist sagte mit bitterem Seufzen aus der Tiefe seines gemeuchelten, herausgerissenen Herzens: «Raschid, mein Sohn, wie bitter mein Ende ist, da an einen Ort ich verdammt, der al-Hutama geheißen, das zermalmende Verderben, das Feuer Allahs, das in der Hölle angefacht», und Vater schluchzte, brach in Tränen aus und sagte: «All mein Reichtum und alles, was ich erworben, sollen mir nichts helfen, denn das vergängliche Lebenich für mich vergebens gewünscht, und nun werde zum Verbrennen in das flammende Feuer ich kommen, Hexenweiber nahen, bringen Holz, an ihrem Hals ein Seil, geflochten aus den Fasern eines Palmbaumes, die ewigen Flammen zu bestücken und darin meine Seele zu verbrennen.»
    Alldieweil konnte Raschid seine Augen nicht von dem Totenschädel lösen, dessen lippenloser Mund und vergällte Zunge sprachen, als

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