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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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unverbraucht. Die meisten waren Frankreich-Heimkehrer, müde, gebeugte Gestalten, junge Männer mit alten Gesichtern, mit Augen, in denen all das Grauen zu lesen stand, das sie gesehen hatten. Viele hatten ein Bein verloren und bewegten sich mühsam an Krücken voran, anderen fehlte ein Arm oder ein Auge. Eine Krankenschwester führte einen kaum zwanzigjährigen Mann mit noch kindlichen Gesichtszügen den Weg entlang; ein Verband bedeckte seine beiden Augen, er schüttelte unablässig den Kopf und murmelte zusammenhanglose Sätze vor sich hin. Ein Zeitungsverkäufer hielt die Daily Mail in die Höhe und schrie: »Allgemeine Wehrpflicht! Unterhaus beschließt allgemeine Wehrpflicht! Premier Asquith überstimmt!«
    Jetzt werden sie noch mehr von unseren Jungs da hinüberschicken, dachte Frances voller Grauen.
    Sie klaubte ein paar Geldstücke aus ihrer Tasche und kaufte eine Zeitung. Als sie sich umdrehte, um weiterzugehen, stieß sie mit einem Herrn zusammen.
    »Entschuldigung«, sagte sie zerstreut, dann sah sie genauer hin.
    »John!« rief sie erstaunt.
    Auch er war überrascht. »Himmel, Frances! Was tust du denn hier?«
    »Ich gehe nur etwas spazieren. Und du?«
    »Ich hatte bei Gericht zu tun.« Sie befanden sich direkt unterhalb des Temple. »Und nun wollte ich auch die Sonne noch ein bißchen ausnutzen.«
    Sie sahen einander unschlüssig an.
    »Gehen wir doch ein Stück zusammen«, schlug John schließlich vor.
    Erst in diesem Moment bemerkte Frances, daß er eine Uniform trug.

    Sie waren schon an der Northumberland Avenue angelangt, da hatte sich Frances von ihrem Schrecken noch nicht erholt.
    »Du gehst nach Frankreich? Warum? Du bist Parlamentsabge-ordneter. Du müßtest das nicht tun!«
    »Ich will es aber. Ich komme mir wie ein Feigling vor hier daheim. Die anderen halten ihre Köpfe hin, und ich führe ein schönes, sicheres Leben. Seitdem der Krieg ausgebrochen ist, schlage ich mich damit herum.«
    »Hast du keine Angst? Nach allem, was George schreibt, ist es ziemlich furchtbar da drüben.«
    John lächelte etwas schief. »Ich habe eine Heidenangst. Aber schlimmer wäre es, wenn ich mir selber nicht mehr ins Gesicht sehen könnte. Seit ich diese Uniform hier angezogen habe, fühle ich mich besser.«
    »Ich verstehe«, sagte Frances, und auf irgendeine Weise verstand sie es auch, aber die Angst kroch kalt und böse in ihr hoch, schlimmer noch als damals, als George ins Feld mußte.
    Es berührte sie eigenartig tief, zu wissen, daß er bald in Frankreich sein würde und jeden Moment sterben konnte. Würde sie es überhaupt erfahren, wenn etwas passierte? Man würde Victoria benachrichtigen, nicht sie. Sie hatte keinerlei Rechte an diesem Mann, nicht das Recht, ihn zu bitten, hierzubleiben, nicht das Recht auf Beileidsbekundungen, wenn ihm etwas zustieße, im Grunde kaum das Recht, eine solche Angst um ihn zu haben. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Alles, was John betraf, mußte sie mit sich allein abmachen.
    »Was sagt...«, sie hatte Mühe, den Namen auszusprechen, »was sagt Victoria dazu?«
    Er machte eine resignierte Handbewegung. »Sie will natürlich nicht, daß ich gehe. Wir hatten heftige Auseinandersetzungen deswegen. Sie versteht nicht im mindesten ...« Er stockte. Es war, als bisse er sich auf die Zunge, ärgerlich, daß er zuviel gesagt hatte.
    »Es ist nicht leicht für sie«, fuhr er fort. »Sie bleibt wohl nicht in London, während ich fort bin. Sie geht nach Daleview, da ist sie zumindest in der Nähe ihrer Familie.«
    Das arme, kleine Ding, dachte Frances boshaft, wenn der Gatte nicht da ist, muß sie schnell zu Mama flüchten. Sie hätte mal durchmachen müssen, was ich durchgemacht habe, da hätte sie gewußt, wie es ist, wenn einem wirklich der Wind um die Nase weht!
    Sie erschrak vor dem Haß, den sie verspürte, und hoffte, daß man ihn ihr nicht anmerkte. Nimm dich zusammen, befahl sie sich.
    Es half nicht viel. Er sah noch besser aus als bei ihrer letzten Begegnung, älter, ernster. Sein Gesicht war schmaler geworden. Sie betrachtete seine Hände. Wie mochte es sein, von diesen Händen berührt, von diesen Armen umfaßt zu werden? Victoria wußte es. Victoria hatte ein Recht auf seine Umarmung. Victoria schlief am Abend mit ihm ein und wachte am Morgen mit ihm auf ... Frances wurde beinahe übel bei dem Gedanken.
    John hatte offenbar auch etwas gemerkt, denn er fragte plötzlich: »Ist dir nicht gut? Du bist ganz weiß um die Nase!«
    »Nichts. Es ist alles in Ordnung.

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