Das Haus Der Schwestern
Ganz gleich, was zuvor in seinem Leben geschehen ist, von irgendeinem Punkt an trägt er die Verantwortung für das, was er mit dem Rest macht.«
Cynthia nickte. »Im Grunde gebe ich Ihnen recht, aber... Nun, also«, sie war bemüht, das Thema zu wechseln, »haben Sie, was Sie brauchen?«
»Vorläufig ja«, meinte Barbara, »wir kommen auf jeden Fall morgen noch einmal vorbei und kaufen für die Feiertage richtig ein.«
Cynthia warf einen zweifelnden Blick hinaus, wo der Sturm heulend die Schneeflocken durcheinanderblies. »Hoffentlich kommen Sie morgen noch bis hierher durch. Wenn es schlimm wird, helfen zwar die von der Catterick Garnison und machen die Hauptstraßen mit ihren Panzern frei, aber um die Nebenstrecken kümmert sich niemand. Und Westhill liegt ein gutes Stück abseits! «
»Ach, es wird schon nicht so schlimm werden!« sagte Barbara leichthin. »Wir haben auch Schneeketten im Auto. Wir schaffen das schon. Wären Sie jetzt so nett, uns den Weg zu beschreiben...?«
Als der dumpfe Klang des Türklopfers aus Messing durch das Haus dröhnte, zuckte Laura zusammen, obwohl sie jeden Moment mit der Ankunft der Gäste gerechnet hatte. Etwas von dem heißen Tee in ihrer Tasse schwappte auf ihre Hand, und sie stieß einen leisen Schrei aus. Was war nur los mit ihren Nerven? Sie schienen völlig zerrüttet, nur weil ihr die bevorstehende Reise im Magen lag, die Konfrontation mit der Welt, die jenseits der schützenden Mauern von Westhill lauerte. Sie stellte die Tasse ab, lief in den Flur, zupfte im Vorbeieilen vor einem Spiegel ihre Haare zurecht, reckte die Schultern und öffnete.
Der Sturm riß ihr beinahe die Tür aus der Hand, und ein Schwall von Schneeflocken wirbelte ihr ins Gesicht. Es war schon fast dunkel, Laura konnte von den beiden Gestalten, die vor ihr standen, kaum mehr als die Umrisse sehen.
»Guten Tag, ich bin Laura Selley«, sagte sie. Sie mußte laut sprechen, um den Wind zu übertönen. »Kommen Sie herein!«
Barbara verstand, weshalb Cynthia diese Laura »wunderlich« genannt hatte. Die ältere Dame war zweifellos nett, aber recht zerstreut und nervös. Sie hatte die beiden Ankömmlinge zuerst in die Küche geführt und ihnen Tee angeboten, und kaum saßen sie mit ihren Tassen da, fiel ihr ein, sie müßte ihnen unbedingt als erstes das ganze Haus zeigen, da sie jeden Moment abgeholt würde. Sie stellten also ihre Tassen wieder ab und folgten Laura durch das Haus. Im Erdgeschoß befanden sich außer der geräumigen Küche noch das Wohnzimmer und das Eßzimmer. Dort blieb Barbaras Blick sofort an der Photographie auf dem Kamin hängen. »Wer ist das?«
»Frances Gray. Den Grays hat das hier ja alles gehört.«
»Und Sie haben es von ihnen gekauft? « fragte Ralph, während er überlegte, woher diese einfach wirkende Frau so viel Geld haben sollte.
»Ich habe es geerbt«, antwortete Laura stolz. »Von Frances. Sie war die letzte der Familie. Es gibt keine Nachkommen.«
»Ist es hier nicht oft recht einsam?« fragte Barbara. Sie fand die Vorstellung, hier jahraus, jahrein alleine leben zu müssen, recht beklemmend.
Laura schüttelte den Kopf. »Für mich nicht. Ich lebe seit über fünfzig Jahren hier, wissen Sie.« Sie schien das für eine ausreichend plausible Erklärung zu halten.
Über eine weißgestrichene Holztreppe gelangten sie in den ersten Stock. Hier gab es zwei große und drei kleine Schlafzimmer sowie ein altmodisches Bad, in dem die Wanne auf vier verschnörkelten Füßen stand.
»Ich habe Ihnen hier in einem der großen Schlafzimmer das Bett bezogen«, erklärte Laura, »ich dachte, dort haben Sie am meisten Platz.«
Barbara und Ralph warfen einander einen kurzen Blick zu und beschlossen in stillschweigender Übereinkunft, keinesfalls vor Laura zu erwähnen, daß sie seit einigen Jahren nur noch in getrennten Zimmern schliefen.
Laura hatte das flüchtige Unbehagen der beiden jedoch gespürt und mit feiner Intuition richtig gedeutet. Verlegen fügte sie hinzu: »Selbstverständlich steht Ihnen auch jedes der drei kleinen Schlafzimmer zur Verfügung. Nur mein eigenes Zimmer sollte...«
»Natürlich«, sagte Ralph rasch.
Als sie die Treppe hinunterstiegen, fragte Barbara neugierig: »Sie waren eine Freundin von Frances Gray?«
Ralph schüttelte kaum merklich den Kopf; er kannte Barbaras Angewohnheit, fremde Leute recht unverblümt auszufragen, und hatte dafür keinerlei Verständnis. Laura gab jedoch bereitwillig Auskunft.
»Man kann das schon so sagen, ja.
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