Das Haus Der Schwestern
zur Verfügung standen, bis zur letzten Sekunde nutzte. Sie wäre nicht auf die Idee gekommen, auch nur einen dieser kostbaren Momente für etwas anderes zu vergeuden. Fast jeden Abend hatte sie noch berufliche Verabredungen oder gesellschaftliche Verpflichtungen, so daß sie meist erst nach Hause kam, wenn Ralph schon schlief. Dafür stand er morgens früher auf, verließ bereits das Haus, wenn sie verschlafen ins Bad tappte. Schließlich hatten sie sich auf getrennte Zimmer geeinigt, weil sich das mit ihren unterschiedlichen Schlafgewohnheiten besser vereinbaren ließ.
Sie hatte den Schalter gefunden, aber das Licht ging nicht an. Hoffentlich lag das an der Lampe und hing nicht etwa mit einem Stromausfall im ganzen Haus zusammen.
Barbara stieg aus dem Bett und tastete sich — in dem fremden Zimmer nur langsam und stolpernd — zur Tür, wo sich ein weiterer Schalter befand. Auch hier tat sich nichts. Und genauso war es draußen im Flur.
»Oh, verdammt«, murmelte sie. Sie erreichte Ralphs Zimmertür und klopfte leise an. »Ralph!« flüsterte sie.
»Komm herein.« Seine Stimme klang wach und klar. »Ich kann ohnehin nicht schlafen. Der Sturm ist zu laut.«
Barbara trat ein. Sie vernahm ein Klicken, dann sagte Ralph erstaunt: »Das Licht geht nicht!«
»Das wollte ich dir ja sagen!« Barbara wechselte frierend von einem Fuß auf den anderen, der Fußboden war eiskalt. »Es geht nirgendwo!«
»Auch unten im Haus nicht?«
»Da hab’ ich es nicht probiert. Was glaubst du, ist das?«
»Vielleicht ist nur eine Sicherung rausgesprungen. Ich kümmere mich morgen früh darum.«
»Vielleicht hat der Sturm auch eine Stromleitung beschädigt. Dann könnten wir gar nichts machen.«
»So etwas wird dann sicher schnell in Ordnung gebracht.« Allmählich gewöhnten sich ihrer beider Augen an die Finsternis, schwach konnten sie einander erkennen. Ralph sah, daß Barbara zitterte.
»Geh schnell wieder ins Bett«, sagte er, »du erkältest dich sonst. Oder...«, er hielt kurz inne, »oder komm zu mir. Aber bleib da nicht stehen! «
Angesichts ihres Traumes hatte Barbara das Gefühl, Ralphs Nähe jetzt keinesfalls suchen zu sollen.
»Ich verschwinde schon wieder«, sagte sie, »hoffentlich läßt dieser verdammte Sturm bis morgen nach. Er macht mich ganz verrückt ! «
Sie ertastete sich den Weg zu ihrem Zimmer und in ihr Bett zurück, aber sie fand keinen Schlaf mehr und wälzte sich unruhig hin und her. Erst in den frühen Morgenstunden dämmerte sie noch einmal ein.
Sie erwachte davon, daß jemand sie an den Schultern rüttelte. Es war Ralph. Er war bereits fertig angezogen, aber noch unrasiert, und wirkte ziemlich verstört. »Barbara, steh auf! Das mußt du gesehen haben!«
»Was denn?«
»Geh mal ans Fenster!«
Sie rappelte sich auf und tat, worum er sie gebeten hatte. Dann stieß sie einen leisen Schrei aus. »Um Gottes willen! Das gibt es doch nicht!«
Die Welt draußen versank im Schnee. So weit das Auge reichte, Schnee, nichts als Schnee. Es gab keinen Unterschied mehr zwischen Wiesen, Wegen, der Auffahrt zum Haus, dem Garten. Alles verschwand, lag tief begraben. Die Bäume entlang der Auffahrt wirkten seltsam winzig, weil kaum mehr die Hälfte ihrer Stämme aus dem Schnee herausragte, und ihre Äste schienen niederbrechen zu wollen. Zwei Bäume hatte der Sturm umgerissen, ihre riesigen Wurzeln ragten nach oben und zeugten von der Gewalt des Unwetters, das in der Nacht über das Land hinweggegangen war. Der Wind hatte aufgehört, aber es schneite unaufhörlich, und eine tiefe, geheimnisvolle Stille lag über der Einsamkeit.
»Ich glaub’s einfach nicht!« rief Barbara fassungslos. »So etwas habe ich noch nie gesehen! «
»Wir haben im ganzen Haus keinen Strom«, sagte Ralph, »auch unten nicht. Die Sicherungen sind in Ordnung. Also hat der Sturm vermutlich die Leitungen beschädigt.«
»Aber das wird man doch schnell reparieren, oder? Ich meine, das ist hier eine etwas verlassene Gegend, aber doch nicht ganz abgeschnitten von der Zivilisation! «
»Die Frage ist, ob es jemandem gelingt, durch den Schnee überhaupt so weit vorzustoßen, daß man etwas reparieren kann. Ich fürchte, selbst mit Schneeketten geht nichts mehr.«
»Apropos Schneeketten«, sagte Barbara. Suchend spähte sie hinaus. »Wo ist denn das Auto? Es stand doch vor der Haustür!«
»Da steht es immer noch«, entgegnete Ralph. In seiner Stimme mischten sich Belustigung und ein Anflug von Panik. » Unter dem Schnee! «
»Dann
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