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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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half ihm beim Anziehen. Er zeigte keine Anzeichen einer Erkältung, offenbar hatten ihre Bemühungen genützt.
    »Wir fahren nach Westhill zurück«, erklärte sie ihm. »Heute noch. Wie findest du das?«
    Wie meist antwortete er nicht.
    »In einer Woche ist Weihnachten«, fuhr Frances fort, »sicher ist das Haus schon geschmückt. Wir werden Truthahn essen und Adelines Plumpudding, und Mutter wird auf dem Klavier spielen. Vielleicht schneit es. Stellst du dir das nicht auch schön vor?«
    »Ja«, sagte George. Er hörte sich an wie ein folgsamer Schüler.
    Frances lächelte ihm aufmunternd zu, dann packte sie mit fliegenden Händen ihre Sachen zusammen, zog ihren Mantel an, setzte ihren Hut auf. Nun, da sie endlich wußte, was sie zu tun hatte, konnte sie es überhaupt nicht mehr abwarten, endlich wegzukommen. Die enge, dunkle Wohnung, die schmuddelige Gegend widerten sie an.
    Nie wieder, dachte sie inbrünstig, als sie unten auf der Straße standen, nie wieder hierher!
    George blieb plötzlich stehen und sah sie an. In seine Augen, die sich sonst immer im Nebel zu verlieren schienen, trat ein Ausdruck von Klarheit.
    »Und Alice?« fragte er.
    Frances griff seinen Arm fester. »Sie kann im Moment nicht für dich sorgen. Sie weiß das, und sie ist einverstanden, daß du mit mir nach Leigh’s Dale kommst.«
    Sie hätte ihm jede Lüge der Welt erzählt, um ihn zum Mitgehen zu bewegen.
    George lief weiter; seine verschlossene Miene verriet nicht, ob Frances’ Auskunft ihn beruhigt hatte oder ob Alice seinen Gedanken schon wieder entflohen war.

    Nie war sie mit einem heißeren Herzen nach Hause gefahren als an diesem trüben, kalten Wintertag, an dem der frühe Nachmittag bereits die Dämmerung brachte. Nicht einmal während ihrer Schulzeit bei der verhaßten Miss Parker hatte sie Westhill so sehnsüchtig entgegengefiebert. Von der Höhe Nottinghams ab lag Schnee. Jenseits der Zugfenster erstreckten sich weißbestäubte Wiesen und Felder, über die ein kalter Wind pfiff und die kahlen Hecken zauste, die die Weiden umschlossen. Am Horizont verwoben sich Himmel und Erde zu einem undurchdringlichen Grau. Die Dunkelheit schien sich mit jeder Minute zu verdichten.
    Es fuhren nicht viele Leute mit dem Zug. Die meisten schliefen oder lasen. Es waren nur Frauen oder ältere Männer zu sehen, die jungen Männer standen in Frankreich. George bekam manch mitleidigen Blick zugeworfen. Frances hatte ihm seine Uniformjacke angezogen, und seine trostlose Magerkeit verriet jedem, daß er Schlimmes hinter sich hatte.
    »Wenn sie nur endlich Frieden schlössen«, sagte eine Frau zu ihrer Nachbarin. »Ich kann diese verletzten jungen Kerle nicht mehr sehen.«
    »Der hat es wohl eher hier.« Ihre Nachbarin tippte sich an den Kopf. »Da hat er was abbekommen.«
    Frances starrte sie an, und verlegen senkte sie die Augen.
    Sie stiegen in York um, fuhren mit dem Anschlußzug aber nicht bis Wensley weiter, sondern verließen ihn bereits in Northallerton, weil dort die Wahrscheinlichkeit, eine Droschke zu bekommen, größer war. Es war halb fünf, und die Nacht war hereingebrochen. Es stand nur ein Wagen am Bahnhof, und den ergatterte ein Ehepaar, beide beladen mit Körben voller Eier und Gemüse. Frances zog den apathischen George hinter sich her und drängte die Frau energisch von der Autotür weg, die diese gerade geöffnet hatte.
    »Ich habe hier einen Kriegsversehrten bei mir. Sie müssen uns das Auto überlassen.«
    »Erlauben Sie mal!« empörte sich die Frau.
    Ihr Mann warf George einen besorgten Blick zu. »Dem geht es aber gar nicht gut«, meinte er unbehaglich.
    »Er hat an der Somme-Schlacht teilgenommen«, sagte Frances, » und er war zwei Tage lang verschüttet in einem Unterstand. Er hat ein schweres Trauma.«
    »Was geht uns das...«, begann die Frau, aber ihr Mann unterbrach sie.
    »Nehmen Sie den Wagen. Wir finden schon etwas anderes.«
    »Ken, ich denke wirklich...«
    »Er hat für uns alle den Kopf hingehalten. Das mindeste, was wir tun können, ist, ihm jetzt das Auto hier zu überlassen.« Er lächelte Frances zu. Sie erwiderte das Lächeln und bugsierte George in das Innere des Wagens. Sie hörte die Frau noch schimpfen und zetern, aber kümmerte sich nicht mehr darum. Aufatmend sank sie in die Polster.
    »Leigh’s Dale«, sagte sie zu dem Fahrer. Er nickte und fuhr los.
    Der Wind hatte die Wolken in Fetzen gerissen und jagte sie über den dunklen Himmel. Dazwischen fiel immer wieder etwas blasses Mondlicht zur Erde und

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