Das Haus Der Schwestern
ein rasches Tapp-tapp-tapp auf den Steinfliesen. Molly, die Hündin, hatte gemerkt, wer gerade gekommen war. Jahrelang hatte sie gewartet. Sie konnte nicht mehr so wild springen wie in ihrer Jugend. Sie leckte George die Hände, leise und still. In ihren klugen Augen lag ein warmes Leuchten.
Irgend etwas in George erwachte. Er hob den Kopf. Sein Blick veränderte sich.
»Molly«, sagte er. Sie sahen einander an, versanken ineinander. Mit seinen abgemagerten Fingern begann George, Mollys Kopf zu streicheln.
»Molly«, flüsterte er noch einmal.
Frances beachtete die beiden nicht. »Adeline!« sagte sie scharf.
Adeline kam langsam die letzten Stufen herab. Den Berg von Tüchern trug sie wie einen Schild vor sich her. Und in diesem Moment erst, als Adeline unten angelangt war und sich an George und Molly vorbeigedrückt hatte, sah Frances, daß all die Tücher über und über befleckt waren mit Blut, frischem, hellem, leuchtendrotem Blut.
Scharf sog sie die Luft ein. »Um Gottes willen! Was ist das? Wo ist mein Vater? Wo ist meine Mutter?«
»Mr. Gray ist im Wohnzimmer mit dem Doktor«, antwortete Adeline,» und Mrs. Gray ...« Sie stockte. Frances packte ihr Handgelenk. Es fehlte nicht viel, und sie hätte die alte Frau geschüttelt.
»Was ist mit meiner Mutter? Nun rede schon! Hat sie ihr Baby bekommen?« Nur das konnte das viele Blut erklären. Aber blutete eine Frau so heftig, wenn sie ein Kind bekam? War das normal?
»Ich höre gar kein Babygeschrei«, sagte sie hastig. »Was ist los?«
»Das Baby ist... ist tot«, entgegnete Adeline und brach in Tränen aus.
»O nein!« sagte Frances leise, »O nein! Arme Mama! Ich muß gleich zu ihr gehen.«
»Warten Sie, Miss Frances!« Adelines Stimme klang rauh wie Sandpapier. »Sie müssen wissen... Mrs. Gray...«
Sie sprach nicht weiter, aber in ihrem Schweigen ballte sich eine furchtbare Wahrheit zusammen, die so übermächtig wurde, daß sie alles auszufüllen schien.
»Das... ist doch nicht wahr«, murmelte Frances schwerfällig.
Adeline weinte heftiger. »Der Doktor konnte nichts mehr tun. Mrs. Gray hat uns zusammen mit ihrem kleinen Mädchen für immer verlassen.«
Sie stieg die Treppe hinauf, mit den mühsamen Schritten einer alten Frau. Sie war immer noch in Mantel und Hut, nur ihre Handschuhe streifte sie endlich ab und legte sie oben achtlos auf das Treppengeländer, von dem sie hinabrutschten und unten im Flur liegen blieben. Sie konnte nicht viel anderes denken als immer wieder: Mutter ist tot. Sie ist gestorben, und ich habe nicht einmal mehr mit ihr sprechen können. Sie ist tot.
Das Wort »tot« tanzte und hämmerte in ihrem Kopf. Erbarmungslos und ohne Ende. »Tot« ließ keinen Ausweg offen. Sie konnte nicht wie sonst ihre Gedanken jagen lassen auf der Suche nach einer Lösung, nicht in rasender Eile nach einer Möglichkeit fahnden, drohendes Unheil abzuwenden oder aus einer schlimmen Situation noch etwas Gutes herauszuschlagen. Es gab nichts mehr zu tun, es blieb nichts mehr zu ändern. Es war alles vorbei.
Aus dem Schlafzimmer der Eltern schlug ihr der Geruch von Krankheit und Blut entgegen; sie kannte ihn nur zu gut aus ihrer Zeit in Frankreich. Es war so heiß, so stickig in dem Raum, daß es einem den Atem nahm. Leise, als könnte sie eine Schlafende stören, trat Frances ein. Dämmriges Licht empfing sie. Nur die kleine Nachttischlampe mit dem dunkelgrünen Seidenschirm brannte, und auf der Kommode gegenüber dem Bett waren die Kerzen in dem dreiarmigen goldenen Leuchter angezündet, den Maureen immer besonders geliebt hatte. Am Fußende des Bettes stand eine schmale Gestalt. Es war Victoria, die mit gefalteten Händen ihre Mutter betrachtete.
Frances zuckte zurück, sie hatte geglaubt, allein zu sein. Aber Victoria hatte sie schon gehört und wandte den Kopf. Ihre Augen waren rot geschwollen vom Weinen.
»Ach, Frances«, sagte sie nur. Es schien sie in diesem Moment nicht einmal besonders zu wundern, ihre Schwester plötzlich zu sehen.
Langsam kam Frances näher. Sie starrte auf das Bett. Adeline hatte nicht nur die blutigen Laken entfernt, sondern Decke und Kissen bereits frisch bezogen. Maureen lag in sauberer, blütenweißer Wäsche. Die Decke war bis unter die Arme hochgezogen, die Arme lagen darüber, die Hände waren gefaltet. Als einzigen Schmuck trug sie ihren Trauring. Ihre schönen, langen Haare waren zu einem Zopf geflochten, der über eine Schulter nach vorne fiel.
Die mädchenhafte Frisur, die gefalteten Hände, das
Weitere Kostenlose Bücher