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Das Haus Der Schwestern

Das Haus Der Schwestern

Titel: Das Haus Der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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weiße Bett erweckten jedoch nur auf den ersten Blick den Eindruck von Frieden, der sich als trügerisch erwies, betrachtete man das Gesicht der Toten: Es mußte ein langer Kampf, ein schweres Sterben gewesen sein. Die Spuren von Angst und Schmerz hatte der Tod noch nicht aus Maureens Zügen zu löschen vermocht. Zwei scharfe Linien verliefen von der Nase zu den Mundwinkeln hinab, die früher nicht dagewesen waren. Es hatte den Anschein, als ziehe Maureen ganz leicht die Augenbrauen zusammen, denn da war eine Kerbe über ihrer Nase, die dem Gesicht einen ungewohnt strengen, zugleich leidenden Ausdruck gab. Frances hatte ihre Mutter noch nie so gesehen. Maureen war für sie immer der Inbegriff von Heiterkeit und Frohsinn gewesen, über ihren Zügen hatte immer etwas Strahlendes gelegen. Meist hatte sie vor sich hin gelacht und gesungen. Selbst wenn sie mit ihren Kindern geschimpft hatte, was selten genug geschehen war, hatte sie es nicht geschafft, wirklich ärgerlich auszusehen. Ihre Kinder hatte ihre Vorhaltungen daher nie ernst genommen, wie sollte man das auch bei jemandem, der immer ein Zwinkern in den Augen hatte?
    Aber jetzt...
    Frances dachte: Wie sehr muß sie gelitten haben! Was hat das Sterben aus ihrem Gesicht gemacht!
    »Mami«, flüsterte sie.
    Victoria zitterte am ganzen Körper. »Zum Schluß haben wir schon gehofft, daß es bald zu Ende geht«, sagte sie, ein tonloses Schluchzen in der Stimme. Es war, als müsse sie weinen, habe aber nicht mehr die Kraft dazu.
    »Es war furchtbar. Irgendwann konnte sie nicht einmal mehr schreien. Sie wimmerte bloß noch. Es klang, als verende ein kleines Tier.«
    Frances ging um das Bett herum. Sie kniete neben Maureen nieder, nahm ihre Hände. Sie waren eiskalt.
    »Mami ...« Es klang beschwörend. Als wäre da irgendeine Hoffnung, daß Maureen den Kopf wenden, die Augen öffnen und ihre Tochter ansehen würde.
    »Die Wehen haben schon vorgestern eingesetzt«, berichtete Victoria, »am Samstag früh. Vater rief mich an. Mutter fühle sich wohl, sagte er, sie sei recht gelassen. Ich müsse nicht herüberkommen. Eine Hebamme sei da, und die habe erklärt, es werde keine Komplikationen geben.«
    Keine Komplikationen! Und sechzig Stunden später war Maureen tot. Und ihr Baby ebenfalls.
    »Ich war froh, nicht hinüberzumüssen«, fuhr Victoria stockend fort, »ich war ja nie mehr hier, seit... seit ich wußte, daß sie schwanger war.«
    O ja, natürlich, so war Victoria! Ewiges Kreisen um ihre eigenen Probleme. Eher ließ sie ihre Mutter ein halbes Jahr lang allein, als daß sie über ihren Schatten sprang und sich zusammenriß, es ertrug, daß eine andere Frau ein Baby bekam und nicht sie.
    Maureens Haut hatte einen gelblichen Ton angenommen. Sie sah viel älter aus. Frances konnte die Augen nicht von ihr wenden. Langsam breitete sich ein Gefühl eisiger Kälte in ihr aus, kroch von ihrer Mitte her in jeden Winkel ihres Körpers, obwohl es so überheizt war im Zimmer und sie ja noch immer ihren Mantel trug. Um ihren Hals schien ein stählerner Ring zu liegen, der immer enger wurde.
    »Gestern früh rief mich Vater an und sagte, ich solle herüberkommen.« Victorias Stimme war rauh vom vielen Weinen. »Es gehe Mutter gar nicht gut, und das Kind komme einfach nicht. Wir haben dann abends den Doktor geholt. Er meinte, das Kind liege irgendwie falsch, aber Mutter werde es schaffen.«
    Frances löste ihre Finger von den kalten, starren Händen ihrer Mutter. Sie stand langsam auf. Ihr Blick glitt durch das Zimmer und blieb an der hölzernen Wiege hängen, in der sie alle ihr erstes Lebensjahr verbracht hatten. Viele Jahre lang hatte sie dann verstaubt auf dem Dachboden gestanden. Nun hatte man sie hinuntergetragen, gesäubert, voll Freude und Ungeduld im Elternschlafzimmer aufgestellt.
    Sie trat heran. Ihre kleine Schwester lag auf einem spitzenverzierten Kissen, zugedeckt mit einer blaßgrünen Wolldecke. Ihr Köpfchen war leicht zur Seite geneigt. Sie sah nicht aus wie ein neugeborenes Baby, sondern auf eine erschreckend absurde Weise wie eine alte Frau, die schon viel im Leben durchgemacht hat. Ihre Haut hatte die gleiche gelbliche Färbung wie die ihrer Mutter. Das dunkle, erstaunlich dichte Haar war fein gebürstet worden. Irgend jemand —vermutlich Adeline — mußte das Kind gesäubert und zurechtgemacht haben. Aber auch hier der Ausdruck von Schmerz in dem kleinen Gesicht. Ebenso wie Maureen hatte dieses Kind tagelang verzweifelt um sein Leben gekämpft und war nun

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